24.04.2009
Der Leichnam im öffentlichen Raum
Öffentliche Ringvorlesung der Friedrich-Schiller-Universität Jena startet am 29. April
Jena. Toten Körpern haftet in Deutschland ein Tabu an. Wenn dann Angehörige mit Verstorbenen konfrontiert werden, steht neben dem persönlichen Leid auch dieses Tabu, diese Unsicherheit, wie man dem Leichnam begegnen soll. Andererseits gibt es Berufsgruppen, zu deren Alltag der Umgang mit Leichen gehört. Anatome und Pathologen, Mitarbeiter von Bestattungsunternehmen, aber auch Ausstellungsmacher, die historische Körper - wie Mumien oder Skelette - präsentieren. Sie alle agieren in einem Raum zwischen restriktiven deutschen Gesetzen, moralischen Vorstellungen und bestmöglicher Bewältigung ihrer Aufgaben.
Mit dieser Schnittstelle - im internationalen Vergleich - beschäftigt sich eine öffentliche Ringvorlesung an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, die am 29. April startet. "Der Leichnam im öffentlichen Raum" haben die Veranstalter vom Ethikzentrum der Universität Jena und dem Institut für Anatomie die sechs Vorträge überschrieben. Sie werden alle 14 Tage jeweils mittwochs um 18.00 Uhr im Hörsaal des Instituts für Anatomie (Teichgraben 7) gehalten - mit Ausnahme des letzten Vortrags. Der findet eine Woche später, am 15. Juli, im Hörsaal Eichplatz statt und bringt erstmals einen berühmten ehemaligen Medizinstudenten der Friedrich-Schiller-Universität zu einem öffentlichen Vortrag nach Jena: Prof. (USA) Dr. Gunther von Hagens vom Institut für Plastination (Heidelberg).
Mehr als 26 Millionen Menschen haben weltweit von Hagens "Körperwelten"-Ausstellungen mit den in wegweisender Technik präsentierten "Plastinaten" gesehen. "Es ist von Hagens großes Verdienst, die Anatomie aus dem akademischen Elfenbeinturm gezogen und der Öffentlichkeit einen Zugang zur Anatomie geschaffen zu haben", sagt Prof. Dr. Dr. Christoph Redies. Der Direktor des Instituts für Anatomie I und Mitorganisator der Ringvorlesung verweist darauf, dass es etwa bei Goethe öffentliche Sektionen gab, während sich das Verhältnis zu Leichnamen in den folgenden Jahrhunderten immer wieder verändert hat. Heute sei der zu Lebzeiten dokumentierte Wunsch des Verstorbenen und die Freiwilligkeit Voraussetzung für eine Körperspende. Redies hat aber auch eine kritische Distanz zu von Hagens künstlerischer Präsentation der Plastinate: "Kunst sollte nicht aus Leichnamen kommen", meint der Jenaer Anatom. Aber genau über diese Faszination und die Vorbehalte soll die Ringvorlesung informieren und auch diskutieren lassen. Gerade eine Universität, da sind sich Redies und der Mitveranstalter Dr. Dirk Preuß vom Ethikzentrum sicher, ist der richtige Ort, um über solche Themen nachzudenken und zu diskutieren - gegebenenfalls kontrovers.
Dazu wird bereits der Premierenvortrag Gelegenheit bieten, wenn PD Dr. Michael Tellenbach und seine Frau Virginia Sanchez de Tellenbach über "Vom Umgang mit den Toten in Altamerika - die Begegnung mit den fremden Toten" reden. Die Mitarbeiter der Reiss-Engelhorn-Museen, Mannheim, sind erfolgreiche Ausstellungsmacher und haben u. a. eine der größten deutschen Mumien-Schauen gestaltet. Anders als Gunther von Hagens sind die beiden allerdings kaum kritisiert worden. Dies hängt wohl auch damit zusammen, dass ein solcher archäologischer Blick auf mumifizierte Leichname von der Öffentlichkeit anders wahrgenommen werde, sagt Preuß. "Wir machen einen Unterschied zwischen frischen und alten Leichnamen", weiß der Jenaer Ethiker und Theologe, der ein Buch "Vom Umgang mit menschlichen Überresten" veröffentlicht hat. Umso neugieriger ist er auf den interkulturellen Vergleich und die Präsentationsproblematiken, die die Tellenbachs in ihrem Vortrag darlegen werden, zu dem sich die Veranstalter zahlreiche Teilnehmer erhoffen.
Das vollständige Programm ist im Internet zu finden unter:
http://www.anatomie1.uniklinikum-jena.de/data/anatomie1_/Der-Leichnam.pdf.
Kontakt:
Prof. Dr. Dr. Christoph Redies
Institut für Anatomie der Universität Jena
Teichgraben 7, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 938511
E-Mail: redies@mti.uni-jena.de
Dr. Dirk Preuß
Ethikzentrum der Universität Jena
Zwätzengassse 3, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 945803
E-Mail: dirk.preuss@uni-jena.de