14.11.2012
Leberversagen bei Sepsis: Signalwege und Frühanzeichen
Ergebnis der Jenaer Sepsisforscher eröffnet neue Möglichkeiten für Diagnose und Therapie
Jena (UKJ/vdG). Bei einer Sepsis, einer überbordenden, den ganzen Körper erfassenden Immunreaktion auf eine Infektion, wird häufig und früher als bisher bekannt die Leberfunktion gestört. Wissenschaftler aus Jena konnten jetzt gemeinsam mit Kollegen aus London und Wien zeigen, dass dabei das Signalprotein PI3Kgamma den gesamten Leberstoffwechsel beeinflusst. Die Veränderungen des Gallensäurespektrums im Plasma sind weit eher nachzuweisen als Änderungen des standardmäßig erfassten Bilirubinspiegels und lassen auf die Schwere der Erkrankung schließen. Diese Ergebnisse, die Ansatzpunkte sowohl für eine frühere Diagnose als auch für eine zielgerichtete Therapie bieten, wurden in PLOS Medicine veröffentlicht.
Die häufig vereinfachend als Blutvergiftung bezeichnete Sepsis verläuft in 30 bis 50% der Fälle tödlich, Überlebende leiden oft jahrelang an Spätfolgen. Auslöser ist eine Infektion, bei deren Bekämpfung das Immunsystem überreagiert und durch die Störung der Blutgerinnung und undichte Blutgefäße lebenswichtige Organe wie Nieren oder Leber in Mitleidenschaft zieht - bis hin zum Organversagen. „Das ist fatal, weil diese Organe durch den Abbau der Medikamente, die die Sepsispatienten erhalten, besonders gefordert sind“, betont Professor Michael Bauer. Der Intensivmediziner ist Sprecher des Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrums für Sepsis und Sepsisfolgen am Universitätsklinikum Jena.
Gelbsucht ist ein spätes Symptom und steht für einen schweren Verlauf der Sepsis; die Gelbfärbung von Augen und Haut zeigt, dass die Leber schon stark geschädigt ist und das Stoffwechselprodukt Bilirubin nicht schnell genug abbauen kann. „Wir vermuteten, dass bei diesen schweren Sepsisfällen die Leberfunktion schon viel früher gestört ist und suchten nach Anzeichen dafür“, beschreibt Michael Bauer den Studienansatz. Ein Team von Intensivmedizinern aus London, Leberspezialisten aus Wien, Physikochemikern aus Jena und eine interdisziplinären Wissenschaftlergruppe des Universitätsklinikums Jena analysierte den Verlauf des septischen Leberversagens im Tiermodell und zog erste Vergleiche mit klinischen Daten.
Signalprotein PI3Kgamma verantwortlich für komplett gestörte Leberfunktion
Die Ergebnisse bestätigten nicht nur die Vermutung, sie stellen die bisherige Sicht auf das Leberversagen bei Sepsis in Frage. Schon wenige Stunden, nachdem bei Ratten durch eine Infektion eine schwere Sepsis ausgelöst wurde, fanden die Wissenschaftler eine komplett gestörte Leberfunktion: Sowohl der Abbau körpereigener Stoffwechselprodukte als auch der körperfremder Stoffe wie Antibiotika funktionierte nicht mehr. Wichtige Proteine, die die Entgiftungs- und Transportfunktion steuern, wurden nicht mehr produziert. Gallensäuren, Giftstoffe und Abbauprodukte wie Bilirubin stauten sich in der Leber. Gleichzeitig war die Aktivität des Signalproteins Phosphatidylinositol-3-Kinase-gamma, kurz PI3Kgamma, das in viele Immunprozesse involviert ist, erhöht.
Professor Bauer: „Wir konnten nicht nur zeigen, dass diese frühe Leberfunktionsstörung für einen sehr schweren, oft tödlichen Verlauf der Sepsis steht, sondern damit auch einen zentralen Signalstoff des Geschehens identifizieren“. Denn bei Tieren, die die Sepsis nach einem leichteren Verlauf überlebten, zeigten sich diese Leberveränderungen nicht. Mehr noch: Mäuse, die durch eine Genveränderung das Signalprotein PI3Kgamma nicht produzieren können, entwickelten keine septische Gallenstauung.
Neuer Ansatz für Frühdiagnose und Therapie
Und die Sepsisforscher gingen noch weiter: Sie verglichen die tierexperimentellen Resultate mit Blutplasmaanalysen von Patienten, die an schwerer Sepsis erkrankt waren. Bei den Patienten, die später eine sepsisbedingte Gelbsucht entwickelten, waren prognostisch im Spektrum der Gallensäuren die gleichen Veränderungen nachzuweisen - lange bevor sich die Bilirubinwerte erhöhten. „Unsere Ergebnisse versprechen einen neuen Ansatz für die frühere Diagnose von Leberkomplikationen bei Sepsis und auch für ein entsprechendes therapeutisches Eingreifen in die Signalprozesse in der Leber“, fasst Michael Bauer zusammen und nennt damit ein Ziel weiterer klinischer Forschungsprojekte. „Außerdem sollte angesichts der großen Leberbelastung der vielfach unkritische Einsatz von Medikamenten bei Sepsis überdacht werden.“
Besonderes Potential sehen die Wissenschaftler in ihren Erkenntnissen auch mit Hinsicht auf den jüngst genehmigten Forschungscampus „InfectoGnostics“ in Jena, ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung in Öffentlicher-Privater-Partnerschaft gefördertes Projekt zur Erforschung und Umsetzung neuer diagnostischer Identifizierungsverfahren und Technologien für Infektionserreger. „Der Forschungscampus bietet ein einzigartiges Umfeld, in dem Anwender, Technologieforscher und die Industrie unter einem Dach forschen und so klinische Ergebnisse in die Praxis bringen können“, so Michael Bauer, der neben Jürgen Popp (Universität Jena und Institut für Photonische Technologien IPHT e.V.), Eugen Ermantraut (Alere AG) und Klaus Berka (Analytik Jena AG) einer der Sprecher des Forschungscampus ist.
Originalliteratur:
Recknagel P, Gonnert FA, et.al. Liver Dysfunction and Phosphatidylinositol-3-kinase Signaling in Early Sepsis: Experimental Studies in Rodent Models of Peritonitis, PLOS Medicine, 13 Nov 2012, doi:10.1371/journal.pmed.1001338