21.11.2016
Studien müssen kritisch hinterfragt werden, um Patienten optimal zu betreuen
Prof. Ulrich Alfons Müller, Diabetesexperte am Universitätsklinikum Jena (UKJ) plädiert für ehrliche Patientenkommunikation
Worin liegen die Herausforderungen der Diabetesbehandlung?
Prof. Müller: Mehr als 800 verschiedene Medikamente für Diabetes-Patienten stehen uns mittlerweile zur Verfügung. Wir können zwar nach einem Jahr Einnahme feststellen, ob ein bestimmter Wirkstoff Messwerte bei unseren Patienten verbessert hat. Doch Diabetes zählt zu den chronischen Krankheiten – das heißt, dass unsere Patienten zum Teil mehrere Jahrzehnte mit ihrer Erkrankung leben. Erst nach vielen Jahren zeichnet sich dann ab, ob die gewählte Therapie auch der richtige Weg war zur Verminderung von Schäden an den Augen, Nerven, Nieren oder den großen Blutgefäßen. Erste Hinweise zeigen, dass zwei neue Medikamentenklassen möglicherweise kardiovaskuläre Todesfälle bei Menschen mit Typ 2 Diabetes verringern können. Allerdings sollten weitere Studien abgewartet werden, bevor diese Medikamente breit eingesetzt werden.
Was ist mit nicht-medikamentösen Methoden?
Prof. Müller: Diabetespatienten müssen erkennen, welche Nahrungsmittel den Blutzucker ansteigen lassen und welche nicht. Blutzucker erhöhende Nahrungsmittel müssen mit den Diabetesmedikamenten abgestimmt werden. Sogenannte „Lebensmittel für Diabetiker“ sind nicht immer sinnvoll und enthalten oft schädliche Zusatzstoffe. Aber gerade bei den Themen Ernährung, Bewegung und Lebensstil arbeiten Ärzte und Diabetesberater mit vielen sehr unscharfen Empfehlungen. Sehr häufig ist der Rat, sich mehr zu bewegen und viel Obst und Vollkorn-Produkte zu sich zu nehmen. Wir sollten diese Empfehlungen jedoch genauso streng analysieren wie wir es mit der Frage der Wirksamkeit von Medikamenten tun. Das ist bisher versäumt worden. Oft werden leider an solchen Studien nicht so rigorose Kriterien angelegt, wie an Medikamentenstudien. Daher ist die Aussage oft auch ungenauer und teilweise von Studie zu Studie widersprüchlich, da oft wichtige Ko-Faktoren wie höherer Sozialstatus nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Sicherlich ist Aufhören mit dem Rauchen auch für Diabetiker, wie für alle Menschen, sinnvoll.
Was ändert sich durch dieses Wissen?
Prof. Müller: Die wichtigsten Informationen zur Behandlung von Diabetes und Bluthochdruck erhalten die Patienten in den Patientenschulungsprogrammen. Es gibt im Internet sogar auch eine Nationale Patientenleitlinie. Hier können und sollten sich Patienten vorinformieren, denn nur der mündige, gut-informierte, Patient kann zusammen mit den behandelnden Arzt eine individuelle Therapieentscheidung für sich selbst treffen. Der Patient hat ein Recht darauf zu erfahren, welchen Nutzen und welche Nebenwirkungen er von der Therapie erwarten kann bzw. muss. Diese Information soll in absoluten Zahlen und verständlicher Form vermittelt werden, damit der Patient sich an der Entscheidung der Therapie beteiligen kann. So fordert es auch die Nationale Versorgungsleitlinie. Viele Ärzte können sich immer noch nicht vorstellen, dass der betroffene Patient wirklich mitentscheiden kann, obwohl dies in der Diabetologie seit vielen Jahren so gehandhabt wird. Zusammen mit Kolleginnen von der Universität Hamburg haben wir eine Studie aus Jena in der renommierten Zeitschrift „British Medical Journal open“ veröffentlicht. Sie zeigte dass Diabetespatienten in der Lage sind, nach Teilnahme an einer Schulung die Zusammenhänge zu verstehen und eine informierte Entscheidung für sich zu treffen.
Sie widmen diesen Themen eine mehrtägige wissenschaftliche Veranstaltung.
Prof. Müller: Unter dem Motto „evidenzbasierte und praktische Diabetologie“ veranstalten wir in Jena seit 2002 einmal jährlich einen Fortbildungskurs für Ärzte und Diabetesberater. Evidenzbasiert meint hier, dass Entscheidungen zu Diagnostik und Therapie auf sicheren wissenschaftlichen Grundlagen getroffen werden. In dieser Veranstaltung werden auch immer wieder „etablierte“ Therapien kritisch hinterfragt und für ihren wirklichen Nutzen für den Patienten durchleuchtet. Die geforderten hohen Maßstäbe an Studien zur Einführung von neuen Medikamenten sollten auch an nichtmedikamentöse Maßnahmen angelegt werden. Die neuesten Untersuchungen zu Essen, Trinken und Bewegung stehen deshalb beim diesjährigen Seminar vom 18. bis. 20. November im Fokus.
Evidenzbasierte und praktische Diabetologie
Internationaler Fortbildungskurs
18. bis 20. November 2016
Campus der FSU, Ernst-Abbe-Platz