Jena (UKJ/ane). Sie gelten als Störenfriede, ecken oft an und sind bei Gleichaltrigen meist unbeliebt: Kinder mit ADHS. Die viel beschriebene Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung gilt inzwischen als häufigste psychiatrische Erkrankung des Kindes- und Jugendalters. 4,8 Prozent der Kinder und Jugendlichen im Alter von drei bis 17 Jahren sind in Deutschland davon betroffen, wobei die Erkrankung bei Jungen etwa viermal häufiger diagnostiziert wird als bei Mädchen.
Dabei wird ADHS auch als ein Oberbegriff beschrieben, um verschiedenste Verhaltensprobleme darzustellen: Mangelnde Konzentrations- und Aufmerksamkeitsfähigkeit, innere Unruhe, unkontrollierte Impulsivität. „Ob in jedem Fall immer eine Diagnose gerechtfertigt ist, und ob das jedes Mal bedeuten muss, dass ein Kind eine Therapie mit Psychopharmaka oder Stimulanzien bekommen muss, ist unbedingt eine Einzelfallabwägung“, betont Prof. Florian Zepf, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. „Nicht jedes Kind, das eine ADHS hat, braucht ein Methylphenidat-Stimulanz. Manche Kinder aber benötigen es, und ihnen sollten wir es auch nicht vorenthalten“, verdeutlicht Prof. Zepf. Entscheidend ist in jedem Fall, ein individuelles Störungsmodell zu entwickeln und abzuklären, anhand welcher Faktoren oder vorhandenen Ressourcen diese Kinder bestmöglich gefördert werden können. Was viele nicht wissen: ADHS ist nicht unbedingt eine Erkrankung der modernen Gesellschaft. Es ist eher anders herum: Kinder müssen heute stärker in den gesellschaftlichen Kontexten funktionieren als früher. Es gibt weniger Spielraum für individuelle Varianten. Die Folge: Kinder mit ADHS ecken heute eher an und werden schneller als schwierig eingestuft als dies vor einigen Jahren der Fall war.
Wenn man auf die Geschichte des Störungsbildes zurückschaut, dann ist bereits in den 1930er-Jahren die erste deutschsprachige wissenschaftliche Publikation zu dem Thema erschienen. Die Autoren haben damals bereits Symptome beschrieben, die auch heute noch zu einem guten Teil mit den diagnostischen Kriterien überlappen. Natürlich haben diese Symptome im Entwicklungsverlauf mehr Aufmerksamkeit gefunden und werden folglich besser erkannt beziehungsweise diagnostiziert. In den 1950er-Jahren hat man zudem schon versucht, mit ähnlichen Präparaten, wie sie heute eingesetzt werden, über den Dopamin-Stoffwechsel im Gehirn Verhaltensauffälligkeiten von Kindern zu verbessern. ADHS ist also kein neues Phänomen.
Die im Volksmund oft als Zappel-Philipp-Syndrom beschriebene Erkrankung ist somit insgesamt betrachtet ein Störungsbild, das sehr heterogen, aber recht gut umschrieben ist. „Die gesellschaftlichen Anforderungen nehmen zu. Das heißt nicht, dass wir die Symptome nicht ernst nehmen müssen“, beschreibt Prof. Zepf. Kinder mit ADHS sind oftmals einsame Kinder. Weil sie auffällig sind, werden sie nur selten auf Geburtstagspartys eingeladen und entwickeln im Nachgang der ADHS oft eine Angst- oder eine depressive Störung. „Diese Folge- oder Begleitstörungen führen die Kinder zu uns in die Klinik. Denn sie verursachen einen sehr deutlichen Einschnitt in ihrer Lebensqualität.“