Jena (UKJ/kbo). Den Kopf hat sie leicht zur Seite geneigt, ihr Ohr ist ihrem Gegenüber zugewandt, sie lächelt aufmunternd, nickt zustimmend: Babet Lehmann hört zu. Sie hört zu, wie ihr ein älterer Herr in der Geriatrie berichtet, dass der Dezember für ihn der schlimmste Monat sei. Sie hört zu, wie ihr ein Mann in der Urologie erzählt, dass er erst Mutter und Vater bis in den Tod gepflegt hat und nun selber im Sterben liegt. Und sie hört zu, wie eine junge Frau in der Psychiatrie über die Leere in ihrem Leben spricht. Babet Lehmann ist Klinikseelsorgerin.
Seit 2016 gehört sie zum vierköpfigen Seelsorge-Team am Universitätsklinikum Jena (UKJ). Dabei hätte es sie nach ihrem Theologiestudium in Jena fast an die Ostsee nach Usedom verschlagen. Das dortige evangelische Pfarramt wollte aber keine Anfängerin. Und so entschloss sich die gebürtige Jenaerin, doch lieber in der Heimat zu bleiben. Eher zufällig landete sie in der Seelsorge. Mittlerweile ist ihr Beruf eine Berufung.
Mit Fingerspitzengefühl und Humor
Babet Lehmann stammt aus einer Pfarrersfamilie. Schnell war für sie klar, später einmal einen helfenden Beruf auszuüben. Krankenschwester oder Ärztin, das war nichts für sie. „Ich bewundere diese Arbeit, aber dafür muss man geschaffen sein“, findet Lehmann. Für die Seelsorge scheint sie geschaffen zu sein. Denn wenn die Pastorin bei den Patienten ist, mit ihnen spricht und ihnen zuhört, kann man sehen: Sie spendet ihnen Trost, gibt ihnen Kraft. Das Gesprächsthema bestimmt zwar immer der Patient, Babet Lehmann versteht sich aber gut in Gesprächsführung. Sie weiß, wo sie nachhaken kann, spürt, wenn sie jemandem einfach mal die Hand halten muss, oder ihr Gegenüber einen positiven Schubs braucht – und sie überrascht mit Anekdoten aus ihrem Privatleben.
Man traut es der zierlichen Frau vielleicht auf den ersten Blick nicht zu, aber Babet Lehmann ist ein echtes „Landei“. Zupackend, hart arbeitend. Sie lebt zusammen mit ihrer Familie auf dem Alten Pfarrhof in Cospeda – Islandpferde, Hund, Katze und Hühner inklusive. Das Landleben erdet sie, sagt sie. Und hilft auch bei manch eher knorrigem Patienten. Die tauen schon mal auf, wenn die 55-Jährige von ihrem Leben auf dem Bauernhof berichtet und sich eine Gemeinsamkeit findet – abseits von Religion und Kirche. „Zu zeigen: Ich bin nicht nur die studierte Theologin, sondern auch ein ganz gewöhnlicher Mensch, öffnet durchaus Türen“, weiß sie. „Das hat schon zu vielen schönen Gesprächen geführt.“
Seelsorge ist für alle da
Am UKJ gibt es drei evangelische und einen katholischen Seelsorger. Sie teilen sich die verschiedenen Kliniken und Institute untereinander auf. Babet Lehmann betreut die Kinder- und Frauenklinik, die Urologie, die HNO, die Psychiatrie, die Geriatrie und die Hautklinik. Bei der Aufnahme werden Patienten nach ihrem Interesse an einem Besuch der Seelsorge gefragt – unabhängig davon, ob sie etwas mit Kirche und Glauben anfangen können. Denn, und das betont Lehmann: „Wir kommen zu jedem, der das Bedürfnis hat, mit uns zu sprechen.“ Meistens sind das ältere Menschen. „Da ist ein Bewusstsein da, dass das Leben endlich ist“, erklärt sie. Manchmal geht es aber einfach darum, zuzuhören. Gerade in der dunklen Jahreszeit häufen sich die Anfragen, auch unter jüngeren Patienten.
Babet Lehmann wird auch zu Notfällen gerufen: zu den Eltern des Frühgeborenen, das die Nacht nicht übersteht. Zu den Angehörigen eines Unfallopfers, das eingeflogen wird. Zur sterbenden Mutter auf der Intensivstation zur letzten Segnung. „Wenn jemand stirbt, gibt es erst mal keinen Trost. Keine heilenden Worte“, weiß sie. Alleine da zu sein, kann aber zumindest tröstlich sein. „Es hilft auch, wenn jemand etwas mit Ritualen anfangen kann: beten, eine Kerze anzünden, stilles Gedenken.“ Oft sei es jedoch eine Gratwanderung, herauszufinden, was Menschen in diesen Momenten wirklich brauchen. Tragische Fälle gehen auch der Seelsorgerin nah. „Solange ich gebraucht werde, kann ich umschalten. Da funktioniere ich.“ Hinterher müsse sie aber erstmal durchatmen, gesteht sie. „Dann geht gar nichts mehr.“ Ihr selbst hilft körperliche Bewegung. „Ich miste dann den Stall aus. Da kriege ich den Kopf frei, räume auf.“
Wenigstens für einen Moment besser fühlen
Und auch, wenn es Schicksale gibt, die nur schwer zu ertragen sind: Für Babet Lehmann gibt es viele schöne Momente, viele schöne Begegnungen – und jeder Tag ist anders. „Das Tolle an meinem Beruf ist ja gerade, nicht zu wissen, was passiert, wem ich begegne.“ Und oft ist sie eben doch eine Unterstützung für die Patienten. „Ich freue mich, wenn sich die Menschen durch das Gespräch wenigstens für einen Moment besser fühlen“, sagt sie. Ein offenes Ohr kann da schon ausreichen.