Jena (vdG/UKJ). Wenn ein Mensch so schwer erkrankt ist, dass Heilung nicht mehr möglich und seine Lebenserwartung begrenzt ist, dann muss eine angemessene medizinische Behandlung auf die Erhaltung der Lebensqualität in der verbleibenden Zeit zielen. Um diesem Anspruch in Deutschland flächendeckend gerecht zu werden, ist das Gesundheitssystem in den vergangenen Jahren um neue palliative Versorgungsstrukturen erweitert worden. Dazu gehören neben der Verankerung der Palliativmedizin als Pflichtfach im Medizinstudium neue Palliativstationen in Krankenhäusern, Hospize, ambulante Palliativteams, spezielle Qualifizierungsmaßnahmen für Ärzte und Pflege sowie gesonderte Zulassungs- und Vergütungsregelungen für die Palliativversorgung.
„Dabei variieren die Versorgungsstrukturen regional sehr stark, was auch an einer Vielzahl von Einzelverträgen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern liegt. Deshalb können regionale Vergleiche wichtige Hinweise auf Verbesserungsmöglichkeiten geben“, so Dr. Antje Freytag vom Institut für Allgemeinmedizin des Universitätsklinikum Jena (UKJ). Die Gesundheitsökonomin leitet das Projekt pallCompare, das eine detaillierte Landkarte für die Palliativversorgung erstellt. Inanspruchnahme, Qualität und Kosten der Palliativversorgung sollen darin im Zeitverlauf und bis auf die Ebene von Landkreisen aufgezeigt werden. Die Datengrundlage dafür liefert die BARMER, bei der rund 9 Millionen Menschen in Deutschland versichert sind. Betrachtet werden die Krankenkassen-Routinedaten der von 2016 bis 2021 verstorbenen Versicherten aus dem letzten Lebensjahr: Klinikaufenthalte und Arztkontakte, verordnete Arznei-, Heil- und Hilfsmittel, häusliche Krankenpflege und die jeweiligen Kosten.
Inanspruchnahme, Kosten und Qualität der Palliativversorgung
Das Projektteam, zu dem auch die Palliativmedizin, das Zentrum für Klinische Studien des UKJ und ein Projektbeirat gehören, analysiert diese Daten und bewertet sie. Ermittelt wird, wie oft die verschiedenen Formen ambulanter Palliativversorgung in Anspruch genommen werden, wer diese verordnet, welchen Umfang die Leistungen haben und wer diese erbringt. Gibt es Unterschiede bei der Versorgung bestimmter Patientengruppen wie Pflegeheimbewohnern, Demenz- oder Krebspatienten? Welchen Einfluss haben die regional unterschiedlichen Rahmenbedingungen und wie wirken sich Veränderungen in den Vergütungsstrukturen aus? Für die Erfassung der jeweiligen Kosten katalogisiert das pallCompare-Team die vielfältigen regionalen Abrechnungsprozeduren und Vergütungsziffern.
Eine zentrale Frage ist die, ob die palliative Versorgung erreicht, was sie soll – ob sie also das Leben der Schwerkranken erleichtert. Als Qualitätskriterien dafür erfasst pallCompare, wie häufig in den letzten Lebenswochen Notfallbehandlungen oder Klinikaufenthalte erfolgen, ob potentiell belastende Behandlungen wie z.B. Chemotherapien verordnet werden und auch, wo ein Patient verstirbt, im Krankenhaus, im Hospiz oder zuhause.
PallCompare führt all diese Daten in einem digitalen Berichtswesen zusammen, das auch Fehl- oder Unterversorgung und Verbesserungsmöglichkeiten im Zusammenwirken der verschiedenen Versorgungsebenen aufzeigt und so die Evaluierung der palliativmedizinischen Versorgungstrukturen ermöglicht. Auch Veränderungen der palliativmedizinischen Versorgung auf Grund der COVID-19- Pandemie werden sich darstellen lassen. „Mit der sektorübergreifenden und regional differenzierten Erhebung schaffen wir eine wichtige empirische Grundlage zur Weiterentwicklung der palliativmedizinischen Versorgung in Deutschland“, betont Dr. Ursula Marschall, die leitende Medizinerin des Projektpartners BARMER. Die Projektergebnisse sollen im Datenportal der BARMER zur Verfügung gestellt und als Bericht veröffentlicht werden. Mit versorgenden Akteuren, Kassenärztlichen Vereinigungen und weiteren Gremien der Selbstverwaltung sowie Berufsverbänden und Fachgesellschaften plant das pallCompare-Team Regionalkonferenzen, in denen es seine Ergebnisse vorstellt und diskutiert.
Das pallCompare-Projekt wird vom Innovationsausschuss beim Gemeinsamen Bundesausschuss für drei Jahre mit insgesamt ca. 900.000 Euro gefördert.
Weitere Informationen: Projektbeschreibung auf der G-BA-Homepage
Kontakt:
Dr. Antje Freytag, Dipl.-Volksw.
Institut für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Jena
Tel.: +49 3641 9395811
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