Jena (ukj). Psychisch belastete und verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche benötigen Hilfe, um mit den Schwierigkeiten in ihrem Alltag bestmöglich umzugehen. Zentraler Ansprechpartner für die betroffenen Kinder und Jugendlichen und ihre Familien ist die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Jena (UKJ). Seit zehn Jahren bietet sie mit der Tagesklinik „Zauberzwerge“ ein besonderes tagesklinisches Therapieangebot. Ein Gespräch mit Prof. Florian Zepf, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, und Melanie Rudovsky, Oberärztin der Tagesklinik „Zauberzwerge“, über die Möglichkeiten und Entwicklungen der tagesklinischen Betreuung von Kindern und Jugendlichen.
Wie kann man sich die Behandlung in der Tagesklinik „Zauberzwerge“ vorstellen?
Melanie Rudovsky: Die Arbeit in unsere Tagesklinik entspricht von der inhaltlich-therapeutischen Herangehensweise her prinzipiell der stationären Behandlung. Wir arbeiten sehr eng mit den Kindern und Jugendlichen und ihren jeweiligen Familien, Schulen und Kindergärten zusammen. Wichtiger Unterschied zur stationären Betreuung ist jedoch, dass die Kinder täglich nach der Therapie nach Hause gehen. Dies dient vor allem dazu, alltägliche Belastungssituationen zu erproben. Dadurch können wir aber auch gleichzeitig das Umfeld der kleinen Patienten intensiver in die Behandlung mit einbeziehen und die Therapieinhalte besser in das häusliche Umfeld übertragen. Der Tag beginnt für unsere Vier- bis Neunjährigen mit einem gemeinsamen Frühstück um 8 Uhr. Anschließend folgt ein fester Tagesplan aus einzeltherapeutischen Elementen, Gruppentherapien, Frühsport, Elterngesprächen und Unterricht. Nach dem Mittagessen gibt es Entspannungszeiten, weitere Therapien und ein Vesper, bevor es für die Kinder wieder nach Hause geht. Wichtiger Bestandteil der Therapie sind zudem Eltern- und Interaktionsgruppen, sowie regelmäßige Gespräche über den Therapiefortschritt.
Haben sich die Erkrankungen der Kinder und Jugendlichen, die Sie in der Tagesklinik behandeln, in den vergangenen zehn Jahren verändert?
Prof. Dr. Florian Zepf: Wir haben in den vergangenen Jahren gesehen, dass vor allem jüngere Kinder von schweren psychischen Beeinträchtigungen betroffen sind und daher zunehmend intensivere Hilfen benötigen – beispielsweise in Form einer tagesklinischen Behandlung. Auch ernsthafte Suizidversuche nehmen unserem Eindruck nach bei Kindern und Jugendlichen zu. Hinzu kommen fehlende Krisenbewältigungsstrategien und eine sinkende Belastbarkeit in den Familien. Die Corona-Pandemie hat diese Entwicklungen noch verstärkt, da Home-Schooling und Home-Office, aber auch die gesellschaftlichen Maßnahmen zum Umgang mit der Pandemie von den Familien viel abverlangt haben. Auch die Isolation durch geschlossene Schulen und sozialen Einrichtungen hat das Risiko für psychische Belastungen erhöht.
Hat sich der Bedarf an kinder- und jugendpsychiatrischer, -psychosomatischer und -psychotherapeutischer Betreuung in den vergangenen zehn Jahren verändert?
Prof. Dr. Florian Zepf: Der Bedarf hat eindeutig zugenommen. Das liegt zum einen an der Zunahme der psychischen Belastungen bei Kindern und Jugendlichen. Zum anderen ist aber auch das Bewusstsein für das Thema psychische Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen und die Notwendigkeit, in solchen Fällen professionelle Hilfe zu suchen, gewachsen. Mit einer Kombination aus Einzel- und Gruppentherapien und unserem starken Fokus auf den Bereich Psychotherapie bieten wir in der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie den betroffenen Kindern und ihren Eltern eine individualisierte Diagnostik und Therapie.
Vor welche Herausforderungen hat die Corona-Pandemie Ihre Arbeit in der Tagesklinik gestellt?
Melanie Rudovsky: Durch die coronabedingten Einschränkungen, wie zum Beispiel das Einhalten von Abständen, können wir derzeit nicht alle tagesklinischen Plätze belegen. Zu Beginn der Pandemie mussten wir unsere Tagesklinik sogar teilweise für mehrere Monate schließen. Deshalb haben wir lange Wartelisten. Die Einschnitte beziehen sich jedoch auch direkt auf unsere therapeutische Arbeit: Denn nicht nur die Elternarbeit als zentraler Therapiebaustein ist aufgrund der verschiedenen Kontaktregelungen deutlich eingeschränkt. Auch die Mehrfamilienarbeit, also die gemeinsamen Gruppentherapien der Kinder mit ihren Eltern, Groß- und/oder Adoptiveltern, die ein weiteres sehr wichtiges therapeutisches Element unserer Klinik darstellt, ist ebenfalls fast komplett weggebrochen. Das Tragen von Masken erschwert es zudem, therapeutisch mit Mimik und Gestik zu arbeiten, um beispielsweise die Stimmung oder eine mögliche Suizidalität der Kinder und Jugendlichen besser einzuschätzen.
Die Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie ist ein dynamisches Feld: Wo sehen Sie die größten Entwicklungspotenziale in den kommenden zehn Jahren?
Prof. Dr. Florian Zepf: Ich sehe enorme Entwicklungspotenziale im Ausbau von kinder- und jugendpsychiatrischen Eltern-Kind-Einheiten – sowohl tagesklinisch als auch stationär. Weiterhin arbeiten wir bereits jetzt fächerübergreifend sehr eng mit der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Uniklinikum Jena zusammen. Nach einem gemeinsamen Konzept behandeln wir Jugendliche und junge Erwachsene im Altersbereich von 16 bis 25 Jahren, da gerade diese Altersgruppe besonders anfällig für psychische Belastungen ist. Bei diesem Konzept gehen wir ganz individuell auf die Bedürfnisse der Patienten ein, um ihre Autonomieentwicklung zu fördern. Außerdem sehen wir zunehmend junge Patienten mit Traumata in der Vorgeschichte, die unsere Hilfe benötigen und auch im Bereich des Kinderschutzes sollten künftig deutliche Anstrengungen unternommen werden. Außerdem wird sich unser Fach aus meiner Sicht auch im Bereich der Forschung weiterentwickeln. Da die meisten psychischen Störungen im Kindes- oder Jugendalter beginnen oder in diesem Altersbereich ihre Vorläufersymptome zeigen, kommt der Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie eine ganz besondere Bedeutung zu. Wenn wir den Beginn psychischer Störungen besser verstehen, können wir frühzeitig intervenieren, um andauernden Belastungen abzuwenden und die gesellschaftliche Teilhabe von Kindern und Jugendlichen zu stärken. Durch die erfolgreiche Bewerbung des Standortes Jena in Kooperation mit den Standorten in Halle und Magdeburg als Standort für das Deutsche Zentrum für Psychische Gesundheit erhoffen wir uns einen deutlichen Schub in der Erforschung psychischer Belastungen über die gesamte Lebensspanne.
Kontakt
Prof. Dr. Florian Zepf
Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie
Am Steiger 6
07743 Jena