Jena (UKJ/as). Stammen die blauen Flecken am Arm der Fünfjährigen von einem Sturz vom Klettergerüst – wie es die Mutter sagt? Oder weisen die Hämatome darauf hin, dass das Mädchen gewalttätig angepackt wurde – wie es die Erzieherin vermutet? „Eine sichere Diagnose zu stellen, ob ein Kind misshandelt, vernachlässigt oder missbraucht wurde, ist eine große Herausforderung“, sagt Andreas Knedlik, Koordinator der Thüringer Ambulanz für Kinderschutz (TAKS) am UKJ. Bei dem Sozialarbeiter melden sich niedergelassene Ärzte, andere Krankenhäuser, Schulen, Jugendämter, Kindergärten, Polizei, Staatsanwaltschaften – aber auch Betroffene selbst oder deren Angehörige.
Wenn der besorgniserregende Vorfall erst kürzlich geschehen ist, vereinbart Knedlik so schnell wie möglich einen Untersuchungstermin für das Kind. Während ein Oberarzt den Jungen oder das Mädchen ausführlich untersucht und beispielsweise analysiert, worauf die Färbung eines Hämatoms hindeutet, dokumentiert Knedlik die sichtbaren Verletzungen mit Fotoaufnahmen. „Wir lassen die Kinder bei diesem ersten Termin außerdem erzählen und halten das Gesagte so genau wie möglich fest“, beschreibt Knedlik. So hilft die Ambulanz dabei, Fälle von Kindeswohlgefährdung besser nachzuweisen und rechtzeitig aufzuklären.
Geleitet wird die TAKS von Professor Felicitas Eckoldt, Direktorin der Kinderchirurgie am UKJ. Neben ihrer Klinik wirken die Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, die Kinderradiologie und das Institut für Rechtsmedizin in dieser gemeinsamen Einrichtung mit. Denn, was das einzelne Kind braucht, kann sehr unterschiedlich sein. Bei Knochenbrüchen wird es stationär in der Klinik für Kinderchirurgie aufgenommen. Bei sexuellem Missbrauch werden die Experten der Rechtsmedizin zur Spurensicherung hinzugezogen. Oft sind auch die Psychologen gefragt.
100 bis 150 Verdachtsfälle registriert Andreas Knedlik jedes Jahr. Bei etwa der Hälfte der Fälle geht es um körperliche Gewalt, bei der anderen Hälfte um sexuellen Missbrauch. „Insgesamt sind Mädchen häufiger betroffen als Jungen“, so Knedlik. Besonders gefährdet sind diese im Alter bis zu acht Jahren sowie zwischen 11 und 14 Jahren. Oft sei die Ambulanz für Kinderschutz der erste Ort, an dem sich die verängstigten Kinder mit ihren Sorgen ernst genommen fühlen.
Doch nicht nur die Kinder müssen hier aufgefangen werden. In der Regel werden sie von mindestens einem sorgeberechtigten Elternteil zur Untersuchung begleitet. Wenn sich durch gezieltes Nachfragen herausstellt, dass das Kindeswohl im eigenen Haushalt gefährdet wird, brauchen auch die Eltern Unterstützung. „Viele der Eltern sind schlicht überfordert und haben nicht gelernt, anders mit schwierigen Situationen umzugehen“, so Knedlik. Es kommt vor, dass er Anzeige bei der Polizei gegen „Unbekannt“ erstatten und die Klinik das Jugendamt informieren muss, um das Kind zunächst in Obhut zu nehmen, bis beispielsweise Pflegeeltern gefunden wurden oder es ein entsprechendes Schutzkonzept für das Kind gibt. Das Team der Kinderschutz-Ambulanz berät gemeinsam mit dem Jugendamt, welche Unterstützung der Familie oder dem Kind angeboten werden kann, um bestehende Strukturen in der Familie zu verändern.
Damit Kindern schon viel früher geholfen werden kann, ist es dem Koordinator der Kinderschutzambulanz wichtig, die Berufsgruppen zu sensibilisieren, die viel Kontakt zu Kindern haben. Mit Vorträgen und Weiterbildungen in Schulen und Kindergärten will er aufklären: Worauf sollten Erzieher achten, wenn sie bei einem Kind Hämatome beobachten? Welche speziellen Methoden der Gesprächsführung helfen, um mit den Kindern und den Eltern darüber ins Gespräch zu kommen? Wie kann mitgeteilt werden, dass man besorgt ist, ohne zu werten? „Manchmal ist es nur ein Bauchgefühl“, so Knedlik. Doch auch dann möchte er Erzieher und Lehrer ermutigen, nicht noch lange Zeit nach eventuellen weiteren Hinweisen zu suchen, sondern sich sofort zu melden. Manchmal erhält er ein Foto einer Verletzung zugeschickt mit der Bitte um Einschätzung. Das kann ohne Hinweis auf die Identität des Kindes oder auf die Einrichtung geschehen. Kein Hinweisgeber solle sich scheuen, einen Verdacht zu äußern, so Knedlik. „Es liegt an uns allen, was aus Kindern wird.“
Notfall-Telefon (24 Stunden): 03641-9322715