Ortsteilbürgermeister mit Sorge vor der Tigermücke, Patient mit der Diagnose Magenkrebs im Endstadium, älterer Herr mit Verdacht auf Demenz – Günter Platzdasch hat all das bereits durchlebt. Glücklicherweise nicht im wirklichen Leben. Der 70-Jährige ist Teil des Schauspielpatienten-Programms des Universitätsklinikums Jena (UKJ), mit dem angehende Ärzte lernen, richtig auf Patienten einzugehen. Denn neben einer fachkundigen Diagnose ist es vor allem Einfühlungsvermögen, das sich die Patienten von ihrem Arzt wünschen. Den richtigen Ton zu treffen will jedoch geübt sein. Und genau diese Feinheiten der zwischenmenschlichen Kommunikation werden mit Hilfe von Schauspielpatienten wie Günter Platzdasch vermittelt und geschult.
Seit fast 20 Jahren wird am Institut für Psychosoziale Medizin, Psychotherapie und Psychoonkologie (IPMPP) des UKJ medizinische Kommunikation in der studentischen Lehre sowie in der ärztlichen und pflegerischen Weiterbildung unterrichtet. Die in diesen zwei Jahrzehnten erworbene Expertise und Erfahrungen werden nun noch einmal in neuer Form gebündelt – und zwar in dem jüngst etablierten Kompetenzzentrum für Medizinische Kommunikation am IPMPP.
An diesem erhalten auch die künftigen Schauspielpatienten, auch Simulationspersonen genannt, das entsprechende Rüstzeug, das sie brauchen um in verschiedenste Rollen zu schlüpfen - vom klassischen Anamnesegespräch bis hin zu Patienten mit Erektionsstörung oder Depression. Darbietungen, die mitunter einiges abverlangen. „Manche Rollen gehen einem näher als andere. Die Darstellung eines Patienten, der die Todesnachricht eines Angehörigen überbracht bekommt, ist die herausforderndste und intensivste“, erzählt Günter Platzdasch. Der 70-Jährige ist seit fünf Jahren Schauspielpatient. „Ich bin dem UKJ verbunden, habe schon an verschiedenen Studien teilgenommen. Dabei habe ich gemerkt, dass es nicht nur ein Dienst an der Wissenschaft ist, bei so etwas mitzumachen, sondern ich für mich auch etwas mitnehme. Daher fand ich auch die Sache mit den Schauspielpatienten interessant und habe mich beworben“, erinnert sich Günter Platzdasch, der früher als Jurist und Journalist tätig war und mit der Schauspielerei zuvor keinen Kontakt hatte. Besondere Voraussetzungen, um Schauspielpatient zu werden, braucht es nicht. „Man muss kein ausgebildeter Schauspieler sein. Eine gewisse Kommunikationsfähigkeit ist jedoch von Vorteil“, sagt Dr. Swetlana Philipp, Koordinatorin des Schauspielpatienten-Programms am UKJ.
Wer Interesse daran hat, Schauspielpatient zu werden, durchläuft zunächst ein einstündiges Casting. Ist der Bewerber geeignet, schließt sich ein Basisworkshop an. In diesem bekommen die künftigen Schauspielpatienten das nötige Rüstzeug für ihre bevorstehenden Aufgaben. In dem etwa vierstündigen Kurs werden neben schauspielerischen Grundlagen auch Kommunikations- und Feedbacktechniken vermittelt. Diese sind besonders wichtig. Denn jedes Simulationsgespräch ist anders. Daher muss auch der Schauspielpatient flexibel sein, sich auf die Situation einlassen, um so passend auf den Medizinstudierenden eingehen und reagieren zu können. Wesentlich ist auch, ein konstruktive Rückmeldung nach dem Rollenspiel geben zu können. Immerhin erfahren die Studierenden dadurch, wie kompetent sie sich während des Gesprächs verhalten haben, wie einfühlsam sie auf ihr Gegenüber eingegangen sind und wie wohl sich der Patient gefühlt hat. „Ich sage immer zu den Schauspielpatienten: ‚Ihr seid das Medium, mit dem Medizinstudierende etwas über sich selbst lernen‘“, fasst es Dr. Swetlana Philipp zusammen. Denn in den Gesprächen gehe es für die Studierenden darum, das im Studium erlernte Wissen anzuwenden, sich in einem geschützten Raum auszuprobieren, die Patientenperspektive zu verstehen und Reflexionsfähigkeit zu üben. Bei den Medizinstudierenden kommen die Rollenspiele jedenfalls an. „Ich erhalte viele positive Rückmeldungen“, berichtet Dr. Swetlana Philipp.
Haben die Schauspielpatienten die Grundschulung durchlaufen, wird es langsam ernst. Sie erhalten ein Skript mit der darzustellenden Krankheitsgeschichte, üben ein letztes Mal in einem zweistündigen Rollentraining und dann geht es auch schon in die Interaktion mit den angehenden Ärzten.
Günter Platzdasch hat in seinen Jahren als Schauspielpatient bereits viele Rollen übernommen, auch wiederkehrend. Langweilig wird es trotzdem nicht. „Man hat ja immer mit jemand anderen zu tun, dadurch entstehen jedes Mal wieder völlig neue Situationen“, so der 70-Jährige, der deshalb auch weiterhin als Schauspielpatient aktiv bleiben will. Was ihm sonst noch daran gefällt? „Dass man eine besondere Selbsterfahrung macht und Seiten an sich entdeckt, die man vorher in seinem Leben so noch nicht kannte.“ Freude bereitet ihm auch einfach die Zusammenarbeit mit den jungen Menschen. „Es ist ein Erlebnis, die Medizinstudenten zu begleiten. Ich bin immer wieder positiv überrascht“, sagt er. Für Günter Platzdasch steht fest: „Diesbezüglich müssen wir uns um den Medizinernachwuchs keine Sorgen machen.“
Info
Weitere Informationen zum Schauspielpatienten-Programm gibt es im Internet unter www.uniklinikum-jena.de/mpsy/Simulationspersonenprogramm.de.
Ansprechpartnerin zum Programm ist Psychologin Dr. Swetlana Philipp telefonisch unter 03641 9-398036 oder per E-Mail an Swetlana.Philipp@med.uni-jena.de
Das nächste Casting für Schauspielpatienten findet im Oktober oder November statt. Eine Bewerbung ist jederzeit und ab 18 Jahren möglich. Die Interessenten sollten zeitlich flexibel sein.