Ein Stolperer über die Teppichkante oder eine kurze Schwindelattacke beim Aufstehen vom Sofa – für alte Menschen kann das schmerzhafte, mitunter lebensgefährliche Folgen haben. Jenseits der 65 steigt bei Senioren das Sturzrisiko und damit das Risiko von Knochenbrüchen. Die Ursachen für Stürze sind vielfältig: nachlassendes Sehvermögen, Schwindel, Krankheiten wie Parkinson, Demenz oder Lähmungen nach Schlaganfällen, Schmerzen, Bewegungseinschränkungen in Hüfte oder Knie sowie Beweglichkeit und Reaktionsvermögen einschränkende Medikamente. Neben allein lebenden, ohnehin schon hilfsbedürftigen alten Menschen gehören Pfl egeheimbewohner zu den besonderen Risikogruppen.
Heutzutage schließt sich an die Akuttherapie von Sturzverletzungen häufi g eine gezielte geriatrische Behandlung gebrechlicher alter Menschen an. An der Klinik für Geriatrie des Universitätsklinikums Jena, wo jährlich 680 Patienten stationär behandelt werden, und an der geriatrischen Tagesklinik gehören Stürze zu den häufi gsten Gründen für eine Einweisung. Die Patienten erhalten hier eine komplexe Therapie, die sie zum Schutz vor neuerlichen Stürzen nicht nur körperlich mobilisieren, sondern ihnen auch die Angst vorm Hinfallen nehmen soll. Denn gerade diese Angst, so Chefärztin Dr. Anja Kwetkat und Klinikpsychologin Dr. Katrin Walter-Walsh, provoziert bei gebrechlichen alten Menschen die Sturzgefahr – und zwar nicht nur bei jenen, die schon bereits Stürze erlebt haben und deshalb verunsichert sind, sondern sogar bei denjenigen, die selbst noch nie gestürzt sind.
„Ist die Sturzangst erst einmal da, versuchen alte Menschen meistens, alle Aktivitäten zu vermeiden, bei denen sie zu fallen fürchten“, erklärt Katrin Walter-Walsh. „Sie entwickeln eine Vermeidungsstrategie.“ Genau damit setzten sie jedoch einen physischen wie psychischen Teufelskreis in Gang, so die Psychologin. „Ihre ohnehin eingeschränkte Mobilität nimmt weiter ab, die körperlichen Kräfte lassen noch mehr nach, die Sturzangst verstärkt sich, damit wiederum steigt das Sturzrisiko.“ Häufig litten die Patienten unter diesen Einschränkungen ihrer Selbstständigkeit, isolieren sich sozial, würden depressiv. Von Angehörigen könnten sie dabei nicht immer das nötige Verständnis erwarten.
Die Behandlung in der UKJ-Geriatrie zielt auf einen veränderten Umgang der Patienten mit der Sturzangst ab – wobei zunächst abgeklärt werden muss, ob eventuell eine Angsterkrankung oder eine andere behandlungsbedürftige psychische Beeinträchtigung vorliegt. Ist das nicht der Fall, üben die alten Menschen das Aushalten für sie bedrohlicher Situationen, etwa das Laufen ohne Begleitung. Hinzu kommt die Aufklärung über Risikofaktoren wie das Tragen von Schuhwerk, das wenig Halt bietet. „Wir ermutigen die Patienten auch, bei Angehörigen oder Nachbarn um Hilfe zu bitten, wenn sie manche alltäglichen Dinge nicht mehr selbst schaffen, und erhöhen so die soziale Kompetenz“, so Walter-Walsh. Außerdem gehört Entspannungstherapie zum Behandlungsprogramm.
Dessen wichtigster Teil freilich ist die körperliche Aktivierung der Patienten. „Kern der geriatrischen Therapie ist das auf die jeweilige Belastbarkeit zugeschnittene Training von Kraft, Balance und Koordination“, so Chefärztin Kwetkat. Das regelmäßige Üben des Treppensteigens unter Anleitung von Sport- und Physiotherapeuten gehört ebenso dazu wie die Bewegung im Freien. Die Intensität ist abhängig von der jeweiligen Belastbarkeit der Patienten, die ja meist noch andere körperliche Beschwerden haben. Wichtiger Teil der Therapie ist auch der richtige Umgang mit Hilfsmitteln wie Handgehstock, Unterarm-Gehstütze, Gehbank oder Rollator. Dies ist das Metier der Physio- und Ergotherapeuten. Sie passen die Hilfsmittel individuell an und trainieren anschließend mit den Patienten das Laufen am Rollator oder das Treppensteigen mit Gehstützen. Die Klinik verordnet diese Hilfsmittel bei Bedarf.
Während der zwei- bis dreiwöchigen stationären oder teilstationären Behandlung hat die Klinik für Geriatrie bereits die weitere häusliche Versorgung der Patienten nach der Entlassung im Blick, wie Oberärztin Anke Herzfeld betont. Schon bei der Aufnahme werden sturzbegünstigende Faktoren in der Wohnung der Patienten detailliert erfasst. Für eine Checkliste fragt das Klinikpersonal unter anderem nach Stolperfallen wie Schnüren, Kabeln und Teppichkanten sowie nach der altersgerechten Ausstattung von Küche oder Badezimmer. Sieht die Klinik hier Bedarf für bestimmte Umgestaltungen der Wohnung – zum Beispiel das Anbringen von Haltegriffen in der Dusche – , kann sie diese ebenfalls verordnen. Bei größerem Anpassungsbedarf wird der Kontakt zur Wohnraumberatung vermittelt.
Katrin Zeiß