28.02.2017
Antibiotika-Resistenzen: Unerwartete Enzym-Vielfalt in Umweltkeimen entdeckt
Viele Krankenhaus- und Umweltkeime tragen bislang unbekannte Resistenz-Gene in sich, die potentiell auch auf andere Bakterienarten transferiert werden können. Dies Wissenschaftler des Uniklinikums Jena und der Alere Technologies GmbH jetzt nachweisen. Ihre umfassende Datenbank-Analyse zeigte: Selbst manche als harmlos eingestufte Umweltkeime tragen genetische Informationen für Enzym-Varianten in sich, die Antibiotika unwirksam machen könnten.
Antibiotische Wirkstoffe wie Penicilline – sogenannte Beta-Laktam-Antibiotika – funktionieren nach einem recht einfachen, aber effektiven Prinzip: Sie enthalten eine chemische Struktur, die Bakterien bei der Bildung der Zellwand stört und sie so bekämpft. Doch gerade die Gruppe dieser häufig eingesetzten Antibiotika bereitet Ärzten zunehmend Sorgen. Jedes Jahr finden sie mehr und mehr Bakterienstämme, die Varianten der „Beta-Laktamase“ produzieren können – ein Enzym das den Wirkmechanismus des Antibiotikums unterbindet.
In einer neuen Untersuchung konnten Wissenschaftler des InfectoGnostics Forschungscampus Jena nun zeigen, dass auch viele vermeintlich harmlose Umweltkeime die genetische „Bauanleitung“ für bislang unbekannte Varianten der Beta-Laktamase in sich tragen. „Die meisten Analysen hatten sich zuvor nur mit Erregern aus Kliniken beschäftigt. Wir haben uns die allgemeinere Frage gestellt: Wie weit verbreitet sind die genetischen Informationen für diesen speziellen Resistenz-Mechanismus?“, erläutert Dr. Oliwia Makarewicz, Leiterin des UKJ-Forschungslabores Klinische Infektiologie. Das Ergebnis: Nur ein kleiner Bruchteil der untersuchten Beta-Laktamasen aus Umwelt- und Klinikkeimen ließ sich den bislang bekannten Enzym-Varianten zuordnen.
Mögliche Verbreitung von Resistenzen über Plasmide
Das große Reservoir an unbekannten Resistenzen bei den Umweltkeimen birgt laut Makarewicz das Risiko einer Übertragung in gefährliche Erreger. Der Grund: Mittels kleinster DNA-Ringe, den sogenannten Plasmiden, können Bakterien auch über Spezies-Grenzen hinweg Erbinformationen übertragen. „Ein solcher Gentransfer aus Umweltkeimen ist zwar relativ selten, wenn ein Resistenzgen jedoch einmal den Weg in einen Krankheitserreger gefunden hat, durchlaufen sie eine sehr schnelle Evolution und führen zu vielen Resistenzvarianten. Das erschwert die Diagnostik und die Therapie.“
Grundlagen für die Untersuchung lieferte eine computergestützte Auswertung von Aminosäure-Sequenzen aus mehreren großen und öffentlich zugänglichen Datenbanken. Verantwortlich für diese Datenauswertung war Christian Brandt, Erstautor der Studie und Doktorand in der UKJ-Forschergruppe von Makarewicz: „Wir waren überrascht, dass vor uns noch niemand auf die Idee gekommen ist, diese riesigen Bakterien-Datenbanken auszuwerten. Das ist ein wahrer Goldschatz, der uns viele Einblicke über die Evolution und Verbreitung von Bakterien und deren Resistenzen ermöglicht.“
Die InfectoGnostics-Forscher wollen derartige computerbasierte Untersuchungen künftig bereits früh in die Entwicklung exakter Schnelltests einbinden. Da reale Patientenproben meist viele verschiedene Bakterien-Spezies enthalten, könnten bioinformatischen Verfahren einen entscheidenden Beitrag leisten, um molekulare Tests möglichst passgenau zu designen und damit exakte Diagnosen vor jeder Therapie zu ermöglichen.
Die Analyse wurde im Rahmen des InfectoGnostics-Projektes zur Erarbeitung eines Schnelltestes für den Nachweis sogenannter Extended Spectrum Beta-Laktamasen (ESBL) vorgenommen. Dieses Forschungsvorhaben ist ein Teil des zentralen Campus-Projektes "Diagnostik für Pneumonie bei Immunsuppression".
Originalpublikation: Christian Brandt, Sascha D. Braun, Claudia Stein, Peter Slickers, Ralf Ehricht, Mathias W. Pletz und Oliwia Makarewicz: „In silico serine β-lactamases analysis reveals a huge potential resistome in environmental and pathogenic species”, Scientific Reports (online), DOI: 10.1038/srep43232
Kontakt:
Dr. Oliwia Makarewicz
Zentrum für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene
Telefon: +49 3641 9-324227
E-Mail: Oliwia.Makarewicz@med.uni-jena.de