Gewalt in organisierten Gewaltstrukturen in der DDR – Eine Sekundäranalyse von Anhörungen und Berichten aus Betroffenenperspektive
Philipp Laue (Universitätklinikum Jena, Institut für Psychosoziale Medizin, Psychotherapie und Psychoonkologie)
Bernhard Strauß (Universitätklinikum Jena, Institut für Psychosoziale Medizin, Psychotherapie und Psychoonkologie)
Zusammenfassung
Ziel der Studie: Gewalt in organisierten Gewaltstrukturen (GOG) wird als Form lang anhaltender, wiederholter, häufig sexualisierter Gewalt vor allem gegenüber Kindern, Jugendlichen oder Frauen durch vernetzte Täter:innen zur finanziellen und machtbezogenen Bereicherung verstanden. Nachdem vereinzelte Betroffenenberichte und historische Analysen die Möglichkeit dieses Gewaltphänomens vor dem zeitlichen und geografischen Hintergrund der DDR implizierten, beleuchtet diese Studie erstmalig GOG in der DDR aus Sicht der Betroffenen.
Methodik: N=10 pseudonymisierte Anhörungen und schriftliche Berichte von Betroffenen sexualisierter Gewalt im Kindes- und Jugendalter in der DDR, die durch die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs zur Verfügung gestellt waren, wurden mittels inhaltlich strukturierender qualitativer Inhaltsanalyse sekundäranalytisch ausgewertet.
Ergebnisse: Es fanden sich Berichte sexualisierter, physischer und psychischer Gewaltanwendung. Die Betroffenen beschreiben GOG in verschiedenen Kontexten, wobei weitere Kategorien (Täter:innen, Dauer/Häufigkeit der Gewalt, Gewaltmotive) mitunter von diesen abhängig waren. Die Folgen für Betroffene sind sowohl kurz- wie langfristiger Natur und zeigen sich verlaufen sowohl auf gesundheitlicher (v. a. psychopathologischer) wie psychosozialer Ebene bis in die Gegenwart. Abgesehen vom historischen Hintergrund fanden sich keine Hinweise auf DDR-spezifische Merkmale des Gewaltphänomens.
Diskussion: Die Erlebnisberichte von Betroffenen ermöglichen die Perspektive des „erlebten Wissens“, welche ihre Grenze dort hat, wo Beschreibungen das Wissen von Täter:innen (z. B. Gewaltmotive, Merkmale der Gewaltstruktur) voraussetzen. Mögliche politisch-ideologische Merkmale der Gewalt finden auch aufgrund der Betrachtung von GOG als „ideologiefreies“ Phänomen (im Gegensatz zu Ritueller Gewalt) keine Erörterung. Für eine geschichtssensible Weiterführung von Forschung bedarf es neben definitorischer Grenzziehungen unterschiedlicher Phänomene v. a. einer multiperspektivischen sowie multiprofessionellen Herangehensweise.
Schlüsselwörter: Gewalt in organisierten Gewaltstrukturen (GOG) - organisierte Gewalt - Deutsche Demokratische Republik (DDR) - Betroffenenperspektive - Sekundäranalyse
Abstract
Organised abuse in the GDR – A Secondary Analysis of the Victims‘ Perspective
Objective: Organiszed abuse (OA) is a form of long-lasting, mostly sexualized violence against children, youth, or women by networked perpetrators for financial and power-related enrichment. Individual reports and historical analyses imply this violence could have taken place in the German Democratic Republic (GDR). This study is the first to shed light on OA in the GDR from the perspective of those affected.
Methods: N=10 confidential hearings and written reports of victims of sexualized violence in childhood and adolescence in the GDR, which were made available by the Independent Inquiry into Child Sexual Abuse in Germany, were analyzed using content-structuring qualitative content analysis.
Results: OA was described with multiple forms of sexualized, physical and psychological violence. Those affected place OA in different contexts, with other categories (perpetrators, duration/frequency of violence, motives) sometimes dependent on these. The consequences for victims are both short- and long-term in nature and occur on both health (especially psychopathological) and psychosocial levels up to the present. There were no indications of further GDR-specific characteristics of OA.
Discussion: The reports of victims enable the perspective of "experienced knowledge", which has its limit where descriptions presuppose the knowledge of perpetrators (e. g., motives for violence, characteristics of violence structure). Possible political-ideological features of violence could not be discussed due to considering OA as an "ideology-free" phenomenon (in contrast to e. g. ritual abuse). In addition to definitional distinctions between different phenomena of violence, a multiperspective and multiprofessional approach is necessary to guarantee a historically sensitive continuation of research.
Keywords: organised abuse - german democratic republic (GDR) - victims - secondary analysis
Zitation
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Fulltext
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