26.11.2015
Überprüfung der Herz- und Lungentransplantationszentren in Deutschland: Stellungnahme des UKJ
UKJ setzt Maßnahmenpaket um
Jena (ukj/dre). Die bundesweite Überprüfung der deutschen Herz- und Lungentransplantationszentren umfasste auch das Universitätsklinikum Jena (UKJ). Die Prüfungs- und Überwachungskommission von Deutscher Krankenhausgesellschaft, GKV-Spitzenverband und Bundesärztekammer war hierzu zwischen März und August 2015 an vier Tagen am UKJ.
Untersucht wurden dabei Herz- und Lungentransplantationen in der Klinik für Herz- und Thoraxchirurgie des UKJ in den Jahren 2010 bis 2012. In diesen drei Jahren wurden am UKJ 27 Herzen transplantiert, zudem fanden 24 isolierte und vier kombinierte Lungentransplantationen statt. Bei kombinierten Transplantationen werden z.B. Lunge und Herz gemeinsam transplantiert.
Bereits zuvor wurden die Lebertransplantationen und Nierentransplantationen in Jena überprüft. Bei diesen beiden Überprüfungen wurden keine Verstöße am UKJ festgestellt. Am 28. Oktober 2015 hat die Bundesärztekammer dem UKJ die Gutachten zu den Herz- und Lungentransplantationen der Jahre 2010 bis 2012 übermittelt. Heute (26.11.) wurden die Ergebnisse aller bisherigen Prüfungen vorgestellt.
Prüfung der Herztransplantationen
Im Zentrum der Prüfung zu den Herztransplantationen in Jena stand dabei das Meldeverfahren an Eurotransplant. Hintergrund: Eurotransplant als Vermittlungsstelle nach dem Transplantationsgesetz führt Wartelisten, auf denen die Patienten nach bestimmten Kriterien eingeordnet werden.
Patienten, die die Voraussetzungen einer sogenannten „High Urgency - HU“ (Hohe Dringlichkeit) – Meldung erfüllen, rücken auf der Warteliste weiter nach oben und haben die Chance, eher ein Spenderorgan zu erhalten. Eine solche HU-Meldung wird vom jeweiligen Transplantationszentrum, wie z.B. dem UKJ, vorgenommen. Jede HU-Meldung wird dann zunächst durch zwei Gutachter bei Eurotransplant bewertet.
Eine Voraussetzung für die Erlangung eines „HU-Status“ bei Herztransplantationen ist nach den für die Transplantationszentren verbindlichen Vorgaben von Eurotransplant unter anderem, dass die Herzleistung einen bestimmten Wert unterschreitet, obwohl für mindestens 48 Stunden eine Therapie mit den Medikamenten Dobutamin oder Milrinon in einer Dosierung oberhalb eines festgelegten Grenzwertes erfolgte.
Mit dieser Voraussetzung wird eine Vergleichbarkeit des Erkrankungszustandes der Patienten auf der Warteliste ermöglicht. Die Verabreichungsdauer und die Höhe der Dosierung dieser speziellen Medikamente im zeitlichen Zusammenhang mit der HU-Antragstellung standen, wie an den anderen bundesdeutschen Transplantationszentren, auch im Mittelpunkt der Prüfung in Jena. Bei Dobutamin handelt es sich um ein Notfallmedikament, das zur Behandlung der akuten Herzinsuffizienz eingesetzt wird, es zählt zur Gruppe der „Katecholamine“. Milrinon wird ebenfalls bei der akuten Herzinsuffizienz eingesetzt, es zählt zur Gruppe der sogenannten „Phospodiesterase-Hemmer“. Die Dosierung dieser Wirkstoffe wird u.a. bei einem HU-Antrag an Eurotransplant gemeldet.
Herzen: Bewertung der Gutachter
Die Gutachter der Bundesärztekammer beurteilten in Jena im Ergebnis folgende Sachverhalte in diesem Kontext als auffällig: In einem Teil der überprüften Fälle gab es für Patienten sowohl eine Krankenakte in Papierform als auch eine elektronische Patientenakte. Die Werte der Dobutamin- bzw. Milrinon-Dosierung wichen insofern voneinander ab, als in der Papierakte geringere Dosen vermerkt waren, in der elektronischen Akte dagegen für dieselben Zeitpunkte Dosierungen, die den erforderlichen Grenzwert für die HU-Meldung übersteigen. Auf Basis der elektronischen Akte erfolgen die HU-Meldungen an Eurotransplant.
Die Kommission ist zu der Auffassung gelangt, dass es in zwei Fällen Falschangaben zur Dosierungshöhe gab, zudem in 15 Fällen fehlerhafte Angaben zur Dauer der Medikamentengabe und zur Nichtabsetzbarkeit der Dosierung. Vor Antragstellung lag die Dosierung der Medikamente unter dem Grenzwert für eine HU-Meldung, am Antragstag seien die Medikamente bis zum bzw. über den Grenzwert „aufdosiert“ worden, nach Antragstellung sei die Dosierung wieder abgesenkt worden. Für diese Auf- und Abdosierung ergab sich nach Auffassung der Kommission aus der Patientenakte keine medizinische Begründung. Die Kommission wertet diese Vorgänge in ihrem Abschlussbericht als „systematische Falschangaben und/oder Manipulationen“. Gleichzeitig erkennt die Kommission in ihrem Bericht an, dass das Klinikum inzwischen „erhebliche Anstrengungen“ unternommen habe, um die bisherigen Richtlinien-Verstöße aufzuklären und für die Zukunft zu vermeiden.
Prüfung der Lungentransplantationen
Das Meldeverfahren an Eurotransplant wurde auch bei den Lungentransplantationen überprüft. Hier gibt es einen Unterschied zu den Herztransplantationen: Das Eurotransplant-Verfahren für die Zuordnung (Allokation) einer Spenderlunge wurde im Dezember 2011 weiter entwickelt.
Dabei wird für die Patienten auf der Warteliste ein spezieller Wert ermittelt, der das Maß für die Dringlichkeit und die Erfolgsaussicht einer Transplantation darstellt. Dieser Wert heißt „Lung-Allocation-Score“, abgekürzt LAS. In die Berechnung dieses Wertes fließen verschiedene Parameter ein, u.a. die Berechnung der Überlebenswahrscheinlichkeit auf der Warteliste für das folgende Jahr und die Berechnung der Überlebenswahrscheinlichkeit für das erste Jahr nach Transplantation. Für das HU-Verfahren und die LAS-Berechnung gelten für die Transplantationszentren die entsprechenden Vorgaben von Eurotransplant. Bei den entsprechenden Anträgen an Eurotransplant ist auch mitzuteilen, wie hoch z.B. die Sauerstoffmenge ist, die ein Patient aufgrund seiner Lungenerkrankung erhält.
Lungen: Bewertung der Gutachter
Zu den Lungentransplantationen in Jena stellen die Gutachter für den Prüfungszeitraum fest, dass einzelne HU-Anträge oder LAS-Anträge bei zehn Patienten falsche Angaben enthielten. Die Gutachter beurteilten dabei konkret folgende Sachverhalte in diesem Kontext als auffällig: So sei etwa die Eurotransplant mitgeteilte Sauerstoffflussrate höher gewesen als der tatsächlich den Patienten verabreichte Sauerstoff. Zudem seien Eurotransplant gemeldete Blutgaswerte und Lungenfunktionswerte der Patienten falsch ermittelt worden. Die Prüfungskommission kommt dabei zum Schluss, dass diese Verstöße systematisch erfolgten.
UKJ setzt Maßnahmenpaket um
PD Dr. Jens Maschmann, seit November 2014 Medizinischer Vorstand des UKJ: „Die von der Kommission festgestellten Auffälligkeiten sind leider inhaltlich im Einzelfall zutreffend. Die beschriebenen Verstöße sind für das UKJ nicht akzeptabel.“ Zu möglichen Motiven kann das UKJ nur spekulieren: „Wir müssen davon ausgehen, dass ein Grund auch darin lag, den betreuten, sehr schwer erkrankten Patienten helfen zu wollen, ohne dass damit der festgestellte Sachverhalt gerechtfertigt werden kann“, so Maschmann weiter. Alle Patienten waren extrem schwer erkrankt und auf ein Spenderorgan angewiesen. Ausgeschlossen werden kann, dass es finanzielle Anreize gab. Hierzu hat auch die Kommission keinerlei Hinweise gefunden.
Gegen systematische Verstöße sprechen aus Sicht des UKJ zudem folgende Sachverhalte: Auf der entsprechenden Station der Klinik wurde 2010 ein neues elektronisches Aktensystem eingeführt. Für eine Übergangszeit gab es also Akten in elektronischer Form und in Papierform. Zudem stammen die Einträge in den Akten des Untersuchungszeitraums von einer Vielzahl von Ärzten und Pflegekräften, so dass es nur schwer vorstellbar ist, dass es hier ein bewusstes und gewolltes Zusammenwirken gab. Hinzu kommt der Umstand, dass es in der Klinik bis einschließlich Ende 2010 in großem Umfang personelle Veränderungen gab, sowohl in der Klinikleitung als auch im Personalstamm. Der jetzige Direktor leitet die Klinik für Herz- und Thoraxchirurgie am UKJ seit Oktober 2010. Bis September 2010 wurde die Klinik kommissarisch von einem Herzchirurgen geleitet, der jetzt nicht mehr am UKJ tätig ist.
Keine Hinweise bei Prüfung im Jahr 2010
Dr. Maschmann betont: „Das UKJ hat die Arbeit der Kommission in vollem Umfang unterstützt. Es lagen uns zuvor keine Hinweise auf diese Mängel vor, denn bei einer Visitation zu den Herztransplantationen im Jahr 2010 wurden durch die Prüfungskommission keine Auffälligkeiten am UKJ festgestellt. Angesichts der Kommissionsarbeit in 2015 hat das UKJ zudem bereits während der Prüfungsphase mit der Umsetzung eines Maßnahmenpakets begonnen, um künftig Möglichkeiten zur Manipulation auszuschließen. Es liegen auch derzeit keine Hinweise vor, dass es nach 2012 solche Auffälligkeiten gab.“
Zu den ergriffenen Maßnahmen zählen auch personelle Konsequenzen: Der Leiter des Herz- und Lungentransplantationsprogramms am UKJ, der im Prüfzeitraum verantwortlich war, wurde im Juli 2015 von seinen Aufgaben entbunden. Zur ergänzenden Prüfung der strafrechtlichen Relevanz der Vorgänge hat das UKJ im Juli Anzeige gegen Unbekannt bei der zuständigen Staatsanwaltschaft Gera erstattet. Am 24. November hat die Staatsanwaltschaft dem UKJ mitgeteilt, dass nach einer rechtlichen Prüfung keine Anhaltspunkte für die Einleitung von Ermittlungen vorliegen.
Weiterhin wurden Abläufe innerhalb der Klinik angepasst, um das Risiko von Falschangaben zu minimieren, so wurden z. B. Checklisten ergänzt und Verfahrensanweisungen überarbeitet. Zusätzlich hat das UKJ Anfang August durch die hauseigene Innenrevision das Herztransplantationsprogramm und die vorliegenden HU-Meldungen der Jahre 2013 bis 2015 überprüft. Maschmann: „Die Innenrevision ist dabei nach dem Prüfungsschema der externen Gutachter vorgegangen. Es konnten dabei keine Auffälligkeiten im Zusammenhang mit der Medikamentengabe entdeckt werden. Das ist ein wichtiges Signal.“