Jena (UKJ/kbo). Eine von 100.000. Das ist Steffi Böning. Die 42-Jährige aus Mühlhausen leidet nämlich an einer sogenannten Granulomatose mit Polyangiitis, kurz GPA. Das ist eine Autoimmunerkrankung, die zu Entzündungen in den kleinen Blutgefäßen führt und den ganzen Körper angreifen kann. Dass nur wenigen die Krankheit ein Begriff sein dürfte, liegt vor allem daran, dass sie sehr selten ist. Ihre Diagnose – und lebensrettende Behandlung –erhielt Steffi Böning in der Rheumatologie des Universitätsklinikums Jena (UKJ), die gleichzeitig zum Zentrum für Seltene Erkrankungen am UKJ gehört.
Oft langer Leidensweg bei Seltenen Erkrankungen
Als selten gilt eine Erkrankung, wenn sie nicht mehr als eine von 2.000 Menschen betrifft. Steffi Bönings Erkrankung ist daher nicht nur selten, sondern sehr selten. Und kein Arzt, keine Ärztin, denkt zuallererst an den seltensten Fall. Zumal bei der GPA die ersten Symptome sehr unspezifisch sind und fast harmlos anmuten. „Bei der Granulomatose mit Polyangiitis richten sich bestimmte Zellen gegen den eigenen Körper und führen zu Entzündungen in den kleinen und mittleren Gefäßen. Im Grunde können alle Organsysteme betroffen sein, von der Locke bis zur Socke. Besonders häufig sind es aber Hals, Nasen und Ohren, Nieren und die Lunge“, erklärt Professor Alexander Pfeil, Leiter des Funktionsbereiches Rheumatologie der Klinik für Innere Medizin III am UKJ.
Bei Steffi Böning fing es im März vergangenen Jahres mit einer dauerverstopften Nase an. „Wegen einem Schnupfen wollte ich nicht gleich zum Arzt rennen“, erinnert sich die zweifache Mutter zurück. „Aber als er dann einfach nicht besser wurde, habe ich mich doch entschieden, das abklären zu lassen.“ Zunächst beim Haus-, dann beim Hals-Nasen-Ohrenarzt. Zwei Antibiotikatherapien später ging es Steffi Böning nicht besser. Im Gegenteil. Ständiges Nasenbluten, Schmerzen in der Nase – und plötzlich der Verlust ihres Gehörs! „Schlagartig konnte ich nicht mehr richtig hören, war so gut wie taub. Und das ging fast vier Monate so“, erzählt sie. Daneben entwickelte sie auch allgemeinere Symptome wie Müdigkeit und Schlappheit, vor allem nach Belastung. Der HNO-Arzt schickte Steffi Böning daher zum Rheumatologen in Erfurt und dieser schließlich im Oktober in die Rheumatologie ans UKJ. Dort wurde sie im Zusammenspiel verschiedener Fachdisziplinen gründlich durchgecheckt: Die Entzündung in ihrer Nase war bereits so stark fortgeschritten, dass der Knochen in Mitleidenschaft gezogen war. Auch in den Ohren entwickelten sich die Entzündungsprozesse so rasant, dass ihre Schleimhäute zerstört wurden. Ihre Lunge zeigte deutliche Verschattungen. „Wir hatten da schon die Vermutung, dass es eine GPA sein könnte“, berichtet Dr. Wiebke Schulze, Oberärztin in der Rheumatologie und behandelnde Ärztin von Steffi Böning. Wegweisend für die endgültige Diagnose war dann ein Bluttest. „Neben deutlich erhöhten Entzündungswerten war es vor allem der sogenannte Autoantikörper Proteinase 3, kurz PR3, der unseren Verdacht bestätigte.“
Diagnose als Erleichterung
„Auch, wenn es mir schlecht ging: Endlich eine Diagnose zu haben und zu wissen, was ich habe, war eine enorme Erleichterung“, sagt Steffi Böning. Und: Damit konnte ihr endlich geholfen werden. „Bei unserer Patientin handelte es sich um einen sehr schweren Fall, das sehen wir so auch nicht alle Tage“, so Dr. Schulze. Etwa zwei neu aufgetretene Fälle von GPA pro Monat behandeln die Expertinnen und Experten in der Rheumatologie am UKJ, in der regelmäßigen Betreuung in der rheumatologischen Tagesklinik sind es etwa 250 Patienten. Akut behandelt wird die Erkrankung mit einer hochdosierten Immunsuppression in Kombination mit Cortison. Zeigt das die gewünschte Wirkung und die Entzündung in den betroffenen Regionen ist zurückgedrängt, kann die Behandlung mit leichteren Immunsuppressiva erfolgen, die bestenfalls nach und nach reduziert werden können. „Ziel ist es, die Erkrankung in Remission zu halten“, weiß Professor Pfeil. Steffi Böning geht es heute deutlich besser. „Ich bin zwar nicht mehr der 100-Prozent-Mensch, der ich vorher war, aber ich lebe noch. Das weiß ich heute sehr zu schätzen.“
Das Zentrum für Seltene Erkrankungen am Universitätsklinikum Jena
Im Zentrum für Seltene Erkrankungen am UKJ werden seltene Erkrankungen erforscht, diagnostiziert und behandelt. In Deutschland sind circa 8.000 Seltene Erkrankungen bekannt, die zusammen sechs bis acht Prozent der Bevölkerung betreffen. Ein Großteil der Erkrankungen sind genetisch bedingt. Da die Symptome so vielfältig und die Erkrankungen so selten sind, haben die Patienten häufig eine lange Reise von einem Arzt zum nächsten hinter sich. Das Zentrum für Seltene Erkrankungen bringt Ratsuchende – Patienten, Angehörige und Behandler – mit den Spezialisten am UKJ, aber auch mit Experten an anderen Kliniken oder niedergelassenen Ärzten in Thüringen und angrenzenden Regionen zusammen. Das ZSE Jena ist die einzige Anlaufstelle dieser Art in Thüringen. Es ist Bestandteil eines bundesweiten Netzwerks aus über 30 Zentren, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die medizinische Versorgung von Menschen mit seltenen Erkrankungen zu verbessern. Im UKJ werden Patienten mit seltenen Erkrankungen in neun Fachzentren behandelt. Integraler Bestandteil ist auch das Institut für Humangenetik für die genetische Diagnostik und Beratung.
Kunstausstellung in der Magistrale
Anlässlich des Tags der Seltenen Erkrankungen wird die Ausstellung „Selten Allein“ von 28. Februar bis 20. März in der Magistrale des UKJ zu sehen sein. Sie zeigt Selbstporträts, die Menschen mit seltenen Erkrankungen gemalt, gezeichnet oder gestaltet haben. Diese Bilder sind zusammen mit einer kurzen Selbstauskunft zur Person und ihrer Krankheit zu sehen. Zusätzlich informiert das Team des Zentrums für Seltene Erkrankungen am 29. Februar von 11 bis 14 Uhr alle Interessierten über die Arbeit des Zentrums.
Den Anstoß für die Aktion „Selten Allein“ haben die universitären Zentren für Seltene Erkrankungen gegeben. Verantwortlich für die Koordinierung ist die Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen – ACHSE e.V. als Dachorganisation von rund 130 Patientenorganisationen.