3. Weihnachtsgrüße aus Kalifornien
Der Weihnachtsbaum steht schon, eine ortstypische Monterey Pine mit langen aber weichen Nadeln. Das mag für deutsche Verhältnisse zeitig sein, im amerikanischen Maßstab ist Familie Deinhardt-Emmer damit sehr zurückhaltend. „Gleich nach Thanksgiving sahen wir überall Autos mit Tannen auf dem Dach. Die Häuser ringsum sind bunt beleuchtet bis hin zu Lichterketten auf dem Rasen im Vorgarten – das erfüllt hier alle Klischees“, sagt Stefanie Deinhardt-Emmer. Die UKJ-Gastwissenschaftlerin in Kalifornien hat aufregende Wochen hinter sich – Halloween und die nun endlich überstandene Fire season, Thanksgiving und eine nervenaufreibende Präsidentschaftswahl, nun kommt Weihnachten und ähnlich wie in Deutschland ist das öffentliche Leben pandemiebedingt wieder zum Erliegen gekommen.
Die Konstante dabei ist die Forschungstätigkeit im Buck Institute in Novato, das sich der Erforschung des Alterns und altersbedingter Krankheiten verschrieben hat. Das können schon zehn Stunden und mehr am Tag sein, die sie hier zubringt, denn „bei den großen Lab-Meetings alle drei Wochen will man schließlich Daten und Ergebnisse präsentieren, und die wollen erarbeitet sein!“
Stefanie Deinhardt-Emmer untersucht das Enzym Dipeptidyltransferase 4. Das kurz DDP4 genannte Oberflächenprotein kommt in vielen Zelltypen vor und ist auch ein Eingangstor für Coronaviren in die Zelle. Sie konnte schon bestätigen, dass das Enzym in gealterten Zellen verschiedener Zelltypen vermehrt gebildet wird. Dieser Umstand könnte dazu beitragen, dass ältere Menschen anfälliger für eine Infektion mit SARS-CoV-2-Viren sind. Bei ihrer Arbeit profitiert die Virologin von der extrem guten Vernetzung der Wissenschaftler am Buck Institute. „Ich konnte Plasmaproben von COVID-19-Patienten untersuchen, die an einer Studie der UC Stanford teilgenommen hatten; das Protein war tatsächlich hochreguliert.“ Und über die Vermittlung von Laborleiterin Judy Campisi werden auch noch weitere Analysen an Patientenmaterialen aus einer Influenzastudie möglich.
Meist aber arbeitet Stefanie Deinhardt-Emmer mit kultivierten Zellen und Mäusen, bei denen durch verschiedene Einflüsse Alterungsprozesse vorangetrieben werden. Das ist zum Beispiel möglich durch Röntgenstrahlung, den Einsatz von Chemotherapeutika oder durch Eingriffe in die Genetik der Zelle. Für Betrachtungen komplexerer Prozesse im Gewebe oder im kompletten Organ eignet das aber nicht. „Wir brauchen entsprechende Organmodelle, zum Beispiel für die gealterte Lunge“, so die Virologin. Außerdem schaut sie sich jetzt die Aktivität des Enzyms genauer an – wie lässt sich diese Aktivität messen, wie kann man die Proteinspaltung darstellen, wie ändert sich dabei die Proteinstruktur?
Die experimentellen Arbeiten, die Standardmethoden wie PCR, Western Blot oder ELISA, aber auch die Genmanipulation durch GenCRISPR-Cas9 umfassen, führt sie dabei selbst durch. „Man muss sich schon sehr gut selbst organisieren können“, so Stefanie Deinhardt-Emmer. Das gilt umso mehr, als auch die Arbeit in Jena weitergeht. Denn hier leitet ist die junge Ärztin ein Projekt im Forschungscampus Infectognostics und arbeitet in einem der Corona-Verbünde des Netzwerks Universitätsmedizin mit. In ihrem Teilprojekt geht es um den Tropismus des neuen Coronavirus, also der Frage, welche Zelltypen es infizieren kann, um sich dort zu vermehren.
Im Moment vergeht kaum ein Tag ohne Zoom-Konferenz zum LPI. Dort ist sie für ein zusätzliches Projektpaket zum Thema Vireninfektionen und natürlich COVID-19 verantwortlich, das im kommenden Sommer starten soll und für das nun die Anträge geschrieben werden müssen. Derzeit vertont die Wissenschaftlerin zusammen mit ihrer Chefin Prof. Bettina Löffler die Folien für die Hauptvorlesung in der Mikrobiologie, auch dafür braucht es viele Absprachen via Zoom. Überhaupt Videokonferenzen: „Dass sich im Moment alle über Zoom oder Webex treffen, ist ein echter Segen für mich“, sagt Stefanie Deinhardt-Emmer, „so kann ich an den wichtigen Meetings zuhause auch teilnehmen. Wenn auch zu dem Preis, dass ich manchmal in der Nacht aufstehen muss…“
Manchmal wird die Wissenschaftlerin aber von ihrem Sohn Friedrich übertroffen, was die Zahl der Zoom-Meetings am Tag angeht. Für den Schulanfänger findet jede Stunde vorm Tablet statt, auch Sport und „Mindfulness“, eine Art Entspannungsübung als Unterrichtsfach. Auch Friedrichs Schwester Clara lernt weiterhin im Homeschooling, zum Glück kann ihr Vater die beiden Grundschüler dabei betreuen und unterstützen. „Das klappt erstaunlich gut“, erzählt Stefanie Deinhardt-Emmer, „die beiden schneiden bei den vielen Test prima ab und kommen immer besser mit der Sprache zurecht. Derzeit sind sie große Fans des Weihnachtsfilm-TV-Kanals.“
Wegen der rasant steigenden Infektionszahlen mussten nach Thanksgiving Museen und Läden wieder schließen, die sozialen Kontakte wieder sehr eingeschränkt werden. Darunter leidet natürlich auch das multikulturelle Miteinander, das eigentlich so typisch ist für ein Forschungsinstitut mit vielen internationalen Gästen. „Trotzdem kann ich mich hier mit Kollegen aus Frankreich, Japan, Italien und Indien austauschen, das ist schon toll. Und von den Kontakten werden wir auch zuhause weiter profitieren.“
Mit ihrem Kollegen aus Japan schreibt sie gerade an einem Übersichtsartikel. Die Familien verbrachten Thanksgiving miteinander, und lachend erzählt die Gastwissenschaftlerin, dass die Thüringer Tugenden Grillen und auch Wandern völlig neu waren für die japanischen Freunde. Wandern kann man prima in den umliegenden Nationalparks oder am vier Autostunden entfernten Lake Tahoe an der Grenze zu Nevada. „Vielleicht fahren wir in den Weihnachtsferien dort mal Ski“, sagt Stefanie Deinhardt-Emmer und verabschiedet sich mit herzlichen Weihnachtsgrüßen in das nächste Zoom-Meeting.