Kindergastroenterologische Ambulanz über Nahrungsmittelunverträglichkeiten
Trend oder ernstzunehmendes Problem? Diese Frage stellen sich viele Menschen mit Magen-Darm-Beschwerden, die in Zusammenhang mit Nahrungsmittelunverträglichkeiten gebracht werden. Aber: „So pauschal lässt sich das gar nicht beantworten,“ sagt Dr. Steffen Reinsch, Oberarzt in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am UKJ. „Nahrungsmittelunverträglichkeiten zeichnen sich ja dadurch aus, dass bestimmte Bestandteile von Lebensmitteln entweder nicht richtig verdaut, nicht richtig aufgenommen werden können, oder zu Reaktionen des Immunsystems führen.“ Dr. Steffen Reinsch arbeitet seit vielen Jahren in der kindergastroenterologischen Ambulanz. Gemeinsam mit Dr. Birgitta Hucke und Dr. Maria Erdmann aus dem ärztlichen Team und Kathrin Schönherr und Maria Günther aus der Ernährungsberatung sorgt er sich um die Kinder und Jugendlichen, die ambulant und stationär zur Diagnostik und Behandlung ihrer Beschwerden in die Kinderklinik kommen. „Stellt sich ein Kind mit einer Überweisung des Kinderarztes in der Ambulanz vor, dann beginnt die Detektivarbeit,“ sagt Dr. Steffen Reinsch. Denn Beschwerden, die im Zusammenhang mit den zu sich genommenen Nahrungsmitteln stehen, können auf eine Vielzahl von Erkrankungen hindeuten. „Zwischen einer Autoimmunerkrankung wie der Zöliakie, bei der der Körper durch den Kontakt mit Gluten, dem Klebeeiweiß einheimischer Getreidesorten, wesentlich im Darm eine Entzündungsreaktion auslöst, oder einer Malabsorption, also einer gestörten Aufnahme von Nahrungsbestandteilen aus dem Darm, ist es doch ein großes und weites Feld.“
Es ist „ein großes und weites Feld“, in dem nur einige der zahlreichen Erkrankungen wissenschaftlich sehr gut untersucht sind. „Sehr gut untersucht ist z.B. die Zöliakie,“ sagt Dr. Birgitta Hucke und ergänzt: „Die Zöliakie kann mit und ohne Symptome auftreten. Wir sehen hier in der Ambulanz kaum noch Kinder mit der ganz klassischen Kombination aus Blähbauch und stinkenden, voluminösen Stühlen, wie man das noch aus dem Lehrbuch kennt. Was wir oft sehen, sind Kinder z.B. mit einem zunächst unerklärlichen Eisenmangel, häufigen Infekten oder einer Wachstumsstörung.“ Festgestellt wird die Erkrankung anhand der klinischen Symptome, dem Nachweis von Antikörpern im Blut und wenn es notwendig ist auch der Entnahme einer Gewebeprobe aus dem Darm. Erhält man die Diagnose Zöliakie, ist die Erkrankung allerdings exzellent durch eine lebenslange, glutenfreie Diät behandelbar. Schon sechs bis acht Wochen nach dem Beginn der Behandlung geht die Entzündung zurück und die Darmschleimhaut beginnt sich zu regenerieren. Drei bis sechs Monate später geht es den kleinen Patienten deutlich besser, vorausgesetzt die Diät wird strikt nach einer Beratung durch Kathrin Schönherr oder Maria Günther umgesetzt. Als Ernährungsberaterinnen schulen sie die betroffenen Kinder und die Eltern ganz intensiv und erklären, worauf im Alltag zu achten ist. Wird die Erkrankung zuerst bei einem Kind in der Familie festgestellt, empfehlen die Ärzte im Übrigen auch die Testung von allen Verwandten ersten Grades, also Eltern und Geschwistern. Einige von ihnen können so auch als Zöliakie-Patient diagnostiziert werden, ohne selbst Beschwerden zu haben. Auch sie profitieren von einer glutenfreien Diät.
Nicht ganz selten sind auch die Malabsorptionen, die bei vielen kleinen und großen Patienten nach der Einnahme verschiedener Lebensmittel zu Verdauungsbeschwerden führen können. Dabei steht besonders die Unverträglichkeit der Laktose, also des Milchzuckers, und der Fruktose, des Fruchtzuckers, im Fokus. Und obwohl beide Erkrankungen durch einen sogenannten H2-Atemtest diagnostiziert werden, sind die Ursachen sehr unterschiedlich. Dr. Steffen Reinsch erklärt: „Bei der Laktose-Malabsorption handelt es sich um einen nach dem Säuglingsalter entstehenden Enzymmangel, der dazu führt, dass der Zweifachzucker Laktose nicht richtig aufgespalten werden kann. Bei der Fruktose-Malabsorption handelt es sich dagegen um einen Transporterdefekt, denn die Fruktose ist bereits ein Einfachzucker.“ Beides führt im Dünndarm dazu, dass der Zucker nicht von der Darmschleimhaut aufgenommen werden kann und in den Dickdarm weiter transportiert wird. Dort kommt es zu einer Fermentierung und Betroffene können unter den typischen Symptomen wie Blähungen, Bauchschmerzen und Durchfällen leiden. Bei einer Laktose-Malabsorption ist neben einer laktosearmen Ernährung durch die Einnahme von Enzymtabletten der Genuss von Milch-Produkten im Allgemeinen möglich. Auch Betroffene einer Fruktose-Malabsorption können zur besseren Verträglichkeit z.B. das Enzym Glukose-Isomerase einnehmen. Das Enzym sorgt dafür, dass die nicht aufgenommene Fruktose in Glukose umgewandelt wird, die ganz unkompliziert über den Dünndarm aufgenommen werden kann. „Generell ist aber eine Reduktion des entsprechenden Zuckers zur Diagnosesicherung der erste Schritt, auch um im Anschluss eine individuelle Toleranz herauszufinden, also welche Menge man wirklich gut verträgt,“ ergänzt Ernährungsberaterin Kathrin Schönherr.
Ganz anders ist das Vorgehen bei Nahrungsmittelallergien. Eine allergische Reaktion z.B. auf Erdnüsse oder Haselnüsse kann schließlich ernste Konsequenzen nach sich ziehen. Besteht der Verdacht, dass ein Kind allergisch auf ein bestimmtes Lebensmittel reagiert – typische Symptome sind z.B. Juckreiz und Schwellungen im Mund- und Rachenraum, Erbrechen, bis hin zu Atemnot und Herz-Kreislauf-Problemen – kann im Rahmen eines Krankenhausaufenthaltes ein sogenannter Provokationstest durchgeführt werden. Nach einer ausführlichen Anamnese und vorbereitender Diagnostik mit einer ganz individuellen Risikoabschätzung werden die kleinen Patienten dem Allergen ausgesetzt – natürlich unter ärztlicher Aufsicht. Wird dabei eine solche Lebensmittelallergie festgestellt, gilt es, das betreffende Allergen zu meiden und für den Ernstfall ein Allergie-Notfallset in Reichweite zu haben. Aber Kathrin Schönherr gibt zu bedenken: „Der alleinige Nachweis einer Allergie über Laborwerte, ohne dass bei den Patienten Symptome auftreten, ist keine Allergie!“. In solchen Fällen sollen die entsprechenden Lebensmittel unbedingt regelmäßig weiter gegessen werden, um die Toleranz nicht zu verlieren.
Auf die Frage, wie es denn sein kann, dass Nahrungsmittelunverträglichkeiten immer häufiger vermutet werden, sind sich Dr. Birgitta Hucke, Dr. Steffen Reinsch und Kathrin Schönherr einig, dass das vor allem durch die Sensibilisierung von niedergelassenen Ärzten, der Verbesserung der Diagnostik und der Präsenz dieser Themen in den Medien kommt. Beispielsweise leiden nachweislich prozentual gesehen nicht mehr Menschen an einer Nahrungsmittelallergie als noch vor einigen Jahren oder Jahrzehnten, nämlich nur 2 bis 3 Prozent. Dem gegenüber wird die Zöliakie häufiger festgestellt – auch weil Kinderärzte ihre kleinen Patienten schon im Kindesalter auf diese Erkrankung untersuchen können. Immer mehr Betroffene gehen den Ursachen ihrer Beschwerden auf den Grund und suchen sich Unterstützung. Dies sollte mit einem kompetenten Team bestehend aus Hausarzt, bzw. Kinderarzt, (Kinder-) Gastroenterologen und zertifizierten Ernährungsberatern erfolgen. „Denn“, so Kathrin Schönherr, „oft kommen Familien zu uns, die sich aufgrund von subjektiven Wahrnehmungen zu einer drastischen Einschränkung der Ernährung entschieden haben, noch bevor eine sichere Diagnose gestellt werden konnte.“ Und manchmal sei eine solche drastische Einschränkung gar nicht nötig, sondern auch gefährlich.
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