19.09.2008
Wie macht Gesellschaft krank und warum lassen Menschen sich die Zunge spalten?
Medizinische Psychologen und Soziologen tagen in Jena
Jena. Über 300 Teilnehmer erwarten die Deutsche Gesellschaft für Medizinische Psychologie und die Deutsche Gesellschaft für Medizinische Soziologie zu ihrer gemeinsamen Jahrestagung in Jena. Unter der Überschrift "Psychosoziale Aspekte körperlicher Krankheiten" werden die Wissenschaftler vom 24. bis zum 27. September aktuelle Forschungsergebnisse vorstellen und Weiterbildungen in Workshops anbieten.
"Das Tagungsmotto verbindet geradezu optimal die Forschungsthemen der beiden Fachgesellschaften. Es ist geeignet, aktuelle Entwicklungen in der Medizin und die Wirkung der Ökonomisierung und Technisierung auf den Patienten kritisch zu reflektieren", sagt der Tagungspräsident Prof. Dr. Bernhard Strauß. Er ist Direktor des Instituts für Psychosoziale Medizin und Psychotherapie, das die beiden benachbarten medizinischen Fachdisziplinen am Jenaer Universitätsklinikum vertritt.
Über dem medizinischen Fortschritt wie der molekularen Medizin, der immer besseren Diagnostik mittels bildgebender Verfahren und der Entwicklung neuer minimalinvasiver Operationsmethoden wird oft vernachlässigt, dass Krankheit nicht nur eine biologische Funktionsstörung des Körpers darstellt, sondern auch psychologische und soziale Aspekte hat. Das reicht vom stressigen Arbeitsalltag, der sich negativ auf die Gesundheit auswirkt, bis zur notwendigen psychologischen Betreuung von Patienten und deren Familien nach einer Organtransplantation. Die über 250 Tagungsbeiträge zeigen das breite Themenspektrum.
Der Einfluss sozialer Stressbelastung auf das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen steht im Mittelpunkt des Vortrags von Prof. Dr. Johannes Siegrist. Der Düsseldorfer Medizinsoziologe geht dabei sowohl auf klinisch-experimentelle Forschungen ein, die Kriterien wie Herzfrequenzschwankungen und Entzündungsproteine untersuchen, als auch auf epidemiologische Studien zu den sozialen und psychischen Risiko- und Schutzbedingungen. Er plädiert dafür, beide Forschungsrichtungen enger miteinander zu verknüpfen, um neue Antworten zu gewinnen auf die Frage, wie Gesellschaft krank macht.
Ein Schwerpunkt des Kongresses ist der Themenkreis Migration und Gesundheit. Ob sich Migranten hinsichtlich psychischer Störungen von der einheimischen Bevölkerung unterscheiden und medizinische Hilfe anders in Anspruch nehmen, untersuchten Prof. Dr. Elmar Brähler und Dr. Heide Glaesmer. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass sich das Auftreten psychischer Störungen kaum unterscheidet, Migranten aber seltener Fachärzte konsultieren und bei stationärer Versorgung wesentlich längere Aufenthaltszeiten haben.
Der Jenaer Medizinsoziologe Dr. Uwe Berger stellt Präventionsmaßnahmen gegen Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen vor. Die in Zusammenarbeit mit dem Thüringer Kultusministerium entwickelten Programme richten sich an Jungen und Mädchen der 6. Klassen und beziehen die Lehrer und Eltern ein. Die Primärprävention Magersucht hat das Ziel, Mädchen psychisch zu stärken und so vor einem Abgleiten in die Magersucht zu bewahren. Mit einem zweiten Programm werden speziell Jungen angesprochen, um starkem Übergewicht und anderen Erkrankungen als Folge von Bewegungsmangel und falscher Ernährung vorzubeugen. Für die 7. Klasse werden eine Auffrischung und die Erweiterung um die Prävention von Bulimie, Fress-Attacken und Adipositas angeboten. In begleitenden Studien konnten die Jenaer Wissenschaftler die Wirksamkeit der Programme nachweisen.
Mit Körperschmuck befasst sich das Symposium "BodyModifikation". Die hier betrachteten Veränderungen des eigenen Körpers gehen weit über gezupfte Augenbrauen und tätowierte Oberarme hinaus. Mit Implantierungen von Objekten unter die Haut, Spaltung der Zunge oder der Änderung der Geschlechtszugehörigkeit wollen Menschen ihren Körper dem empfundenen Ideal näher bringen. Der Sitzungsleiter Prof. Dr. Erich Kasten von der Universität Lübeck wird sich in seinem Vortrag mit der sonderbaren Gruppe von Menschen beschäftigen, die sich die Amputation eines Körperteils wünschen. Nicht nur die Motive für solche Veränderungen des Körpers, sondern auch die medizinischen Konsequenzen derartiger Eingriffe sind Gegenstand der medizinpsychologischen Forschung.
Einen psychosozialen Aspekt ganz anderer Art im Tagungsprogramm stellt das zweite Aufeinandertreffen der Fußballteams beider Fachgesellschaften dar. "Nach der deutlichen 2:17-Niederlage vor zwei Jahren wollen wir die Revanche", so der Medizinpsychologe Bernhard Strauß.
Kontakt:
Prof. Dr. Bernhard Strauß
Institut für Psychosoziale Medizin und Psychotherapie
Universitätsklinikum Jena
Tel.: 03641 / 93 65 01
E-Mail: