04.10.2011
Neue Oberfläche lässt Implantate fester einwachsen
Thüringer Forschungsverbund entwickelt neue Beschichtungstechniken für orthopädische Titanimplantate
Durch eine spezielle Anwendung der plasmachemischen Oxidation ist es Thüringer Forschern gelungen, eine poröse, bioaktive Oberfläche auf Titanimplantaten zu erzeugen. In einer vorklinischen Studie konnten die Chirurgen, Materialwissenschaftler und Implantathersteller nachweisen, dass die neuartige Oberfläche im Vergleich zu herkömmlichen Implantaten ein mehrfach festeres Einwachsen in das Knochengewebe ermöglicht. Seine Ergebnisse veröffentlichte der Forschungsverbund kürzlich im Fachjournal Biomaterials.
In den Knochen eingesetzte Implantate und Prothesen, die dauerhaft im Körper verbleiben sollen, müssen vor allem eines: schnell und sehr fest mit dem Knochengewebe verwachsen, um starken mechanischen Belastungen standhalten zu können. Das gilt für die Verankerung künstlicher Hüft-, Knie- oder Schultergelenke ebenso wie für Zahnimplantate im Kieferknochen.
„Aktuell sehen wir uns in der Orthopädie und Unfallchirurgie mit zwei zunehmenden Problemen konfrontiert: Erstens die frühzeitige Auslockerung von künstlichen Gelenken, und zweitens die fehlende Stabilität von Titanimplantaten im durch Osteoporose geschwächten Knochen“ sagt Dr. Michael Diefenbeck aus der Klinik für Unfall-, Hand und Wiederherstellungschirurgie am Universitätsklinikum Jena. Beide Fragestellungen geht der Unfallchirurg mit Titanimplantaten an, die über eine neuartige Oberfläche verfügen.
Entwickelt und getestet wurde die neue Implantatoberfläche im interdisziplinären Verbund mit Wissenschaftlern des INNOVENT e. V. in Jena, des Instituts für Materialwissenschaft und Werk- stofftechnologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und des Implantatherstellers Königsee Implantate GmbH. Die spezielle Außenschicht ist um ein Vielfaches dicker als die Titanoxidschicht auf herkömmlichen Implantaten oder Endoprothesen. Um sie herzustellen, modifizierte Dr. Christian Schrader von INNOVENT e.V. die Methode der Plasmachemischen Oxidation, ein elektrochemisches Verfahren, bei dem es zu einer Gasentladung im Elektrolyt kommt. „Wir konnten auf den Implantaten eine Titanoxidmatrix realisieren, die eine feinporige Oberfläche besitzt und in die Kalzium und Phosphor eingelagert ist“, so der Chemiker. „Die Poren sollen das Anwachsen und Verankern von Knochenzellen, Osteoblasten, am Implantat verbessern, und die bioaktiven Elemente deren Stoffwechsel beschleunigen“.
In einer vorklinischen Studie konnten die Wissenschaftler an einem Tiermodell zeigen, dass die Implantate mit der neuen Oberfläche sich um ein mehrfaches stabiler im Knochen verankern als herkömmliche Titanimplantate mit verschiedenen Oberflächen. Sowohl bei den mechanischen Belastungstests als auch bei histologischen Untersuchungen zur Neubildung von Knochengewebe direkt an der Implantatoberfläche erwies sich die bioaktive Titanoxidschicht als deutlich besser.
„Diese neuen vorklinischen Erkenntnisse sind nicht nur wissenschaftlich interessant, sondern legen die Grundlage für verträglichere und bioaktivere Implantate“ ist sich Prof. Dr. Klaus D. Jandt sicher. Der Spezialist für Biomaterialien hat den Lehrstuhl für Materialwissenschaft an der Friedrich-Schiller Universität Jena inne und arbeitet seit Jahren an der Entwicklung und Strukturierung von Materialien, die zu den verschiedensten Zwecken in biologische Systeme integriert werden.
Das zweijährige Verbundprojekt wurde vom Freistaat Thüringen mit EU-Mitteln in Höhe von 700 000 Euro gefördert. Für die Königsee Implantate GmbH bot es die Möglichkeit zur interdisziplinären wissenschaftlichen Zusammenarbeit. „Das stellt bei der Entwicklung neuer Verfahren für die Implantatherstellung und die Umsetzung in die industrielle Praxis einen wesentlichen Schwerpunkt unserer langfristigen Forschungs- und Entwicklungsstrategie dar", betont Geschäftsführer Frank Orschler.
Mit ihren bisherigen Erfahrungen wollen die Wissenschaftler die neuen Implantate anschließend auch klinisch testen. „Sie könnten zum Beispiel bei osteoporosebedingten Brüchen oder notwendigen Versteifungen zum Einsatz kommen“, so Chirurg Diefenbeck. Die verantwortungsvollen klinischen Studien werden noch etwa fünf Jahre in Anspruch nehmen, bevor die neuen Implantate den Patienten zugute kommen.
Originalliteratur:
Diefenbeck M, Mückley T, Schrader C, Schmidt J, Zankovych S, Bossert J, Jandt KD, Faucon M, Finger U. The effect of plasma chemical oxidation of titanium alloy on bone-implant contact in rats. Biomaterials (2011), doi:10.1016/j.biomaterials.2011.07.046