19.05.2014
Nichts ist besser als Muttermilch
Frauenmilchspendebank an der Kinderklinik Jena existiert seit drei Jahren / Muttermilch spielt für die Entwicklung von Frühgeborenen eine wichtige Rolle
Jena (ukj/as). Mit 760 Gramm erblickt der kleine Ben in der 29. Schwangerschaftswoche das Licht der Welt. Auch wenn er insgesamt mit wenigen Komplikationen zu kämpfen hat, bereitet ihm die Verdauung große Schwierigkeiten. „Mein Sohn hat die Frühchennahrung überhaupt nicht vertragen, sich oft erbrochen und gar nicht zugenommen“, erinnert sich seine Mutter Anne Jauch an die schweren ersten Wochen. Weil sie ihrem Sohn keine Muttermilch geben kann, gehört der heute dreijährige Ben zu den ersten Frühgeborenen an der Kinderklinik Jena, die gespendete Frauenmilch erhalten. „Es war wirklich wie ein Wunder“, erzählt Anne Jauch. Mit der neuen Nahrung wird ihr Sohn sofort viel ruhiger und nimmt kontinuierlich zu. Drei Monate verbringt der kleine Junge in der Kinderklinik, viele Wochen davon kann er mit Milch versorgt werden, die verschiedene Frauen spenden. Seine Mutter hat keine Zweifel daran, dass die gespendete Milch einen guten Dienst getan hat: „Der Unterschied war ganz offensichtlich.“
„Wir haben gute wissenschaftliche Daten, die zeigen, dass Muttermilch die derzeit optimale Ernährung für Frühgeborene ist“, sagt Prof. Hans Proquitté, Leiter der Sektion Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin an der Jenaer Kinderklinik am Universitätsklinikum Jena (UKJ). Seit 2011 gibt es hier wieder eine Milchbank, in der gespendete Frauenmilch für die Frühgeborenen auf den Stationen aufbereitet wird. Nur 13 der rund 200 Kinderkliniken in ganz Deutschland verfügen über ein solches Angebot. Mit der politischen Wende wurden die meisten der in Ostdeutschland verbreiteten Milchsammelstellen geschlossen, erst langsam wächst wieder das Interesse an gespendeter Frauenmilch.
„Muttermilch ist ein bioaktives System“, erläutert Dr. Maria Löschau. Sie schützt die Kinder durch ihre Immunstoffe vor lebensbedrohlichen Infektionen und enthält Verdauungsenzyme, die optimal der Darmflora des Babys angepasst sind. Dies spielt gerade bei Frühgeborenen eine wichtige Rolle, deren Magen-Darm-Trakt noch unreif und daher besonders anfällig für entzündliche Darmerkrankungen ist. Seit die Frühchen an der Kinderklinik mit gespendeter Frauenmilch versorgt werden, ist die Zahl dieser Darmerkrankungen deutlich zurückgegangen. Auch Langzeiteffekte sind erkennbar. „Es gibt beispielsweise Hinweise darauf, dass Frühgeborene, die mit Muttermilch versorgt worden sind, eine bessere neurologische Entwicklung aufweisen als andere Frühgeborene“, so Dr. Löschau. Bisher sei es nicht möglich, die besondere Zusammensetzung der Muttermilch industriell herzustellen.
„Weil wir wissen, dass Frauenmilch die bessere Alternative ist, betreiben wir diesen großen Aufwand“, sagt Prof. Proquitté. Jeder Mutter, die spenden möchte, wird Blut entnommen, das auf alle bekannten Erreger untersucht wird. Außerdem wird die gespendete Milch regelmäßig mikrobiologisch untersucht. Die Milch wird nicht vermischt und es ist stets nachvollziehbar, von welcher Mutter eine Spende stammt. „Die zusätzlichen Kosten für das Personal und die Laboruntersuchungen trägt unsere Klinik“, so Prof. Proquitté. Jede interessierte Mutter erhält eine Milchpumpe und Flaschen sowie eine kleine Aufwandsentschädigung.
Stillschwester Simone Vogelsberger spricht die Mütter auf den Frühgeborenen-Stationen direkt auf die Möglichkeit der Spende an. Da viele Frauen nach einer Frühgeburt in den ersten Tagen noch keine Milch haben, können ihre Kinder so mit der Milch anderer Mütter versorgt werden, bis sie eigene Milch abpumpen können. Bei Christina Haase ist es andersherum. Als ihr Sohn acht Wochen zu früh auf die Welt kommt, hat sie bereits ausreichend Muttermilch. „Viel mehr, als mein Kleiner trinken konnte.“ Den Überschuss spendet sie. Auch als ihr Sohn die Klinik bereits verlassen hat, bringt sie alle zwei bis drei Tage Flaschen mit Muttermilch vorbei. „In der Kühlbox“, sagt sie lachend. Ihr heute zehn Monate alter Sohn entwickelt sich prächtig und wird nach wie vor gestillt. „Ich finde es sehr positiv, dass die Klinik es so fördert, dass möglichst alle Kinder Muttermilch bekommen“, so Christina Haase.
Das Team der Frauenmilchbank ist über jede Spenderin dankbar – auch wenn es nur für einige Tage ist. Extreme Frühchen trinken in ihren ersten Lebenstagen nur wenige Milliliter Muttermilch etwa alle drei Stunden. „Mit einer gespendeten Flasche Milch können wir also die ganze Station einen Tag lang ernähren“, so Prof. Proquitté. Den 14 Frauen, die im vergangenen Jahr Muttermilch gespendet haben, dankt er sehr. Gern dürfen es in diesem Jahr noch mehr werden. „Unser Ziel ist es, alle Frühchen, die mit einem Gewicht von unter 1500 Gramm geboren werden, in den ersten ein bis zwei Lebenswochen und am liebsten noch einige Wochen darüber hinaus mit Frauenmilch zu versorgen“, so Prof. Proquitté. Im vergangenen Jahr wurden 70 Kinder auf den Frühgeborenen-Stationen am UKJ betreut, die weniger als 1500 Gramm auf die Waage brachten. Da diese Zahl in Zukunft weiter steigen wird, wächst auch der Bedarf an gespendeter Muttermilch. Prof. Proquitté: „Jede Form der Unterstützung ist willkommen – vordringlich in Form von Frauenmilch, wenn nicht, gern auch finanziell.“
Kontakt:
Frauenmilchbank Jena
Kochstraße 2
07749 Jena
Tel. 03641 – 938388
Internationaler Tag der Frauenmilchspende
Der 19. Mai ist zum internationalen Tag der Frauenmilchspende ernannt worden. Erstmals ausgerufen wurde er in Brasilien, da an diesem Tag im Jahr 2005 13 Länder und internationale Organisationen in Süd- und Zentralamerika ein erstes Abkommen zur Schaffung eines internationalen Netzwerks von Frauenmilchbanken unterzeichneten. Die „European Milk Bank Association“ (EMBA) unterstützt die Arbeit der gut 200 Frauenmilchbanken in Europa (www.europeanmilkbanking.com).