21.10.2015
Gerüstbau in Nervenzellen
Biochemikern des Universitätsklinikums Jena ist es gelungen, einen für die Ausbildung des Cytoskeletts von Nervenzellen wesentlichen Signalweg aufzuklären. Unter anderem mittels hochaufgelöster 3D-live-Mikroskopie konnten die Doktorandinnen Wenya Hou, Maryam Izadi und Sabine Nemitz zeigen, wie die dynamische Bildung von Aktinfilamenten zeitlich und räumlich gesteuert wird. Die jetzt im Fachjournal PLoS Biology veröffentlichten Ergebnisse tragen zum Verständnis von Entwicklungs- und Regenerationsprozessen von neuronalen Netzwerken bei.
Vorsichtig tastend wächst eine Verzweigung aus der Nervenzelle, gleich darauf verschwindet sie wieder. Nur Minuten später bildet sich an genau der gleichen Stelle ein neuer Auswuchs, kurzlebig wie der erste. Ein drittes Mal beginnt ein Punkt der Nervenzelle heller zu leuchten, und jetzt wird der neue Zweig eines Nervenzellausläufers länger und länger, bis er schließlich einen Nachbarzweig erreicht. Der mikroskopische Zeitrafferfilm ermöglicht einen Blick in die Kinderstube der Nervenzellen und zeigt, wie sich deren stark verzweigte Gestalt ausprägt. Die verästelten Formen verschiedener Nervenzellen sind für die Bildung neuronaler Netzwerke, den Transport von Signalen und die korrekte Signalverarbeitung im Gehirn unabdingbar.
Stabilisiert wird diese Zellform von einem inneren Fasergerüst, das aus Zusammenlagerungen vieler Kopien des vergleichsweise kleinen Proteins Aktin besteht und das die Zelle je nach Bedarf auf-, aus- und auch wieder abbauen kann. Die Bildung dieser Aktinfasern erforschen die Biochemiker Prof. Dr. Britta Qualmann und PD Dr. Michael Kessels am Universitätsklinikum Jena. „Mit dem Protein Cobl konnten wir vor einigen Jahren einen wichtigen Akteur in diesem Baugeschehen identifizieren“, so Britta Qualmann. „Woher Cobl aber weiß, wann und wo es loslegen soll, war bislang völlig unklar“, ergänzt Michael Kessels.
Aktin-Gerüstbau in hoch-aufgelöster 3D-live-Mikroskopie
Zur Beantwortung dieser Frage konnten jetzt Wenya Hou, Maryam Izadi und Sabine Nemitz wesent- liche Erkenntnisse beitragen. Die mehrjährigen Forschungsarbeiten der Doktorandinnen am Institut für Biochemie I wurden von der Deutschen Forschungsgemein- schaft im Schwerpunktprogramm „Prinzipien und Evolution von Aktinnukleatorkomplexen“ und im Graduiertenkolleg „Molekulare Sig- naturen adaptiver Stressreaktio- nen“ gefördert. In hoch-auf- gelösten 3D-live-Mikroskopie- experimenten verfolgten die Nach- wuchswissenschaftlerinnen dabei die Bildung von Aktinfasern und klärten deren molekularen Grundlagen auf.
„Ein bis zwei Minuten lang sammelt sich Cobl an deutlich umgrenzten Stellen in sich entwickelnden Neuronen an, und dann treten genau dort schlagartig Aktin-reiche Ausstülpungen auf, die zu dendritischen Verzweigungen führen können“, beschreibt Maryam Izadi die Beobachtungen. Offensichtlich lässt die Anhäufung von Cobl die Aktingerüstfasern lokal stark wachsen, und dieser innere Druck direkt an der Zellmembran bricht sich dann in einer Verzweigung eines dendritischen Zellausläufers nach außen Bahn.
Durch eine Vielzahl weiterer Experimente konnten die jungen Biochemikerinnen auch die zeitliche und räumliche Steuerung dieser Cobl-Maschinerie im Detail aufklären. Dabei untersuchten sie zum Beispiel, mit welchen Proteinen Cobl während seiner Bautätigkeit reagiert, ob und wie diese Interaktionen schaltbar sind und wer die Steuerung der kritischen Einzelteile der Cobl-Aktinfilament-Bildungsmaschine übernimmt. Sabine Nemitz: “Mit dem Protein Calmodulin haben wir einen weiteren Bindungspartner von Cobl gefunden – für unser Verständnis der molekularen Steuerung der Cobl-Maschinerie war das der Durchbruch.“ „Calmodulin lagert sich an bestimmte Bereiche von Cobl an und kontrolliert dadurch sowohl dessen Aktivität in Aktinfilamentbildungen, als auch die Zielsteuerung von Cobl zu bestimmten Abschnitten der Plasmamembran von Nervenzellen“, fasst Wenya Hou zusammen. Die Doktorandinnen haben dabei auch gezeigt, dass es ohne Calmodulin gar nicht geht: Wurde das Steuerprotein gehemmt oder Cobl so verändert, dass es sich von Calmodulin nicht mehr steuern ließ, dann konnte sich die Gestalt der Nervenzellen nicht mehr richtig entwickeln.
Kalziumsignale steuern Zellskelett
„Der Cobl-Anhäufung und dem Verzweigungswachstum geht eine Erhöhung der Kalzium-Konzentration voraus; das Calmodulin selbst wird dabei durch Kalzium aktiviert“, so Britta Qualmann. Eine Vielzahl von Zellfunktionen wird durch Kalziumsignale gesteuert - dass auch die Ausbildung von Aktinfasern dazugehört, war bislang unbekannt. In Nervenzellen ist das Kalziumniveau sehr niedrig und stark reguliert. „Eine direkte Steuerung der Gestalt sich entwickelnder Neurone über nur kurzzeitige und lokal begrenzte Kalziumsignale ist also ein sehr elegantes Prinzip“, führt Michael Kessels aus, „allerdings führen zu hohe Kalziumkonzentrationen, wie sie zum Beispiel auch bei traumatischen Kopfverletzungen oder einem Schlaganfall auftreten, zum Absterben von Neuronen.“
Mit ihren Ergebnissen können die Jenaer Wissenschaftler zum Verständnis der Veränderungen und Störungen von Nervenzellfunktionen beitragen, die durch solche Signale ausgelöst werden. „Und wir verstehen die Steuerung des Zellskeletts besser“, so Britta Qualmann, „die in der Entwicklung des Gehirns sicherstellt, dass Nervenzellen die für ihre Funktion notwendige, sehr ausgebreitete und verzweigte Gestalt annehmen und sich vernetzen können.“
Originalliteratur:
Wenya Hou , Maryam Izadi , Sabine Nemitz , Natja Haag, Michael M. Kessels , Britta Qualmann. The actin nucleator Cobl is controlled by calcium and calmodulin. PLoS Biol 13: e1002233. doi:10.1371/journal.pbio.1002233.
Zeitrafferfilm Neuronenverzweigung
Kontakt:
Prof. Dr. Britta Qualmann & PD Dr. Michael Kessels
Institut für Biochemie I, Universitätsklinikum Jena
Tel.: 03641/9 39 63 00 oder 03641/9 38 120
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