Jena (ukj/tak). Es fing alles ganz harmlos an. Adrian Magnucki wollte am 4. August 2016, einem Donnerstag, morgens joggen gehen. „Ich hatte die Türklinke schon in der Hand, da merkte ich plötzlich, dass ich Bauschmerzen hatte“, erinnert sich der 25-jährige Erfurter Student der katholischen Theologie und der Wirtschaft. „Ich dachte, ich hätte mir den Magen verdorben, was Falsches gegessen“, sagt er. Dreizehn Tage später, am 17. August 2016 implantierte Professor Utz Settmacher, Direktor der Klinik für Allgemein-,Viszeral- und Gefäßchirurgie des Universitätsklinikums Jena (UKJ), dem schwerkranken jungen Mann vier Bauchorgane: Leber, Dünndarm, Bauchspeicheldrüse und Magen. Hätte er die rettenden Organe nicht erhalten, wäre er gestorben. In drei Tagen feiert er seinen ersten Geburtstag mit neuen Bauchorganen. Was war passiert?
Statt zu Joggen schleppte sich Magnucki an diesem 4. August 2016 zu seiner Hausärztin. Auf dem Weg dorthin musste er sich einmal übergeben. Die Praxisärztin überwies ihn gleich in ein Erfurter Klinikum. In dem Klinikum wurde dem jungen Mann Blut abgenommen und ein Ultraschall veranlasst. „Der Arzt sagte: ‚Das sieht ja aus, als wären Sie schwanger‘ “, erinnert sich Magnucki noch. In seinem Bauch war etwas aufgebläht. Noch dachte Magnucki an eine harmlose Erkrankung, doch die Ärzte alarmierten den Rettungshubschrauber, der Adrian Magnucki in das Universitätsklinikum Jena flog. Hier stellte Prof. Settmacher die Diagnose, dass Magnucki an einer lebensgefährlichen und an der Stelle, an der Pfortader der Leber, sehr seltenen Aussackung eines Gefäßes (Aneurysma) litt. „So etwas ist auch für mich eine Rarität“, sagt Prof. Settmacher. Wäre das Gefäß geplatzt, wäre Magnucki innerlich verblutet. Am 9. August wurde das kranke erweiterte Gefäß mit dem Kopf der Bauchspeicheldrüse entfernt und durch ein Stück Oberschenkelvene ersetzt. Das an sich war schon ein großer chirurgischer Eingriff. Doch kurz nach der OP merkte man sofort, dass Magnucki an einer weiteren, noch gefährlicheren angeborenen Erkrankung litt. Seine Bauchorgane wurden nicht richtig durchblutet, weil das Blut nicht in das Gewebe floss, sondern von einem Gefäß in das nächste. „Herr Magnucki hatte mehrere Kurzschlussverbindungen der Gefäße in der Leber und in der Bauchspeicheldrüse“, erklärt Prof. Settmacher. „Diese Grunderkrankung ist eine Rarität“, so der Universitätsprofessor. Es sei erstaunlich, dass die Erkrankung nicht schon viel früher zu lebensbedrohlichen Komplikationen geführt hatte. Nun funktionierte zunächst die Leber nicht mehr, Mediziner sprechen vom akuten Leberversagen. Schließlich versagten auch andere Bauchorgane, Multiorganversagen. Sofort wurde Magnucki ins künstliche Koma versetzt. Die Ärzte listeten ihn bei Eurotransplant in Leiden (Niederlande) als Transplantationspatient der höchsten Dringlichkeitsstufe „HU“ (für high urgency).
„Ich habe von dieser Zeit eigentlich nichts mehr mitbekommen“, erzählt Magnucki. Seine Eltern, die vier Geschwister, seine Freundin und alle Verwandten und Bekannten bangten um ihn, kamen jeden Tag auf die Intensivstation. Am 10. August spendete der katholische Klinikseelsorger Pfarrer Michael Ipolt mit den Eltern und Verwandten Adrian Magnucki das Sakrament der Krankensalbung. Professor Settmacher bereitete die Angehörigen auf das Schlimmste vor. Wenn innerhalb von wenigen Tagen keine neuen Organe transplantiert werden, würde Adrian Magnucki sterben. Eine Maschine übernahm jetzt teilweise die Funktion der kranken Leber. Doch die Vitalwerte wie Blutdruck und Sauerstoffsättigung im Blut wurden rapide schlechter. Magnucki erbrach Blut.
„Das Gewicht des Spenders muss passen, die Blutgruppe auch“, beschreibt Prof. Settmacher die Anforderungen an die neuen Organe. Am 17. August 2016, einem Mittwoch, kam der rettende Anruf von Eurotransplant. Sofort flog ein Ärzteteam vom UKJ zu dem Verstorbenen, um die Organe vor Ort zu prüfen. Als das Entnahmeteam grünes Licht gab, schnitt Prof. Settmacher im OP-Saal 3 im ersten Stock des UKJ um 13 Uhr Magnuckis Bauch auf. Nur sechs Stunden durften die gesunden Organe außerhalb des Körpers konserviert werden, dann mussten sie implantiert werden. In einer fünfstündigen Operation mit einem achtköpfigen OP-Team (drei Chirurgen, zwei Narkoseärzte, zwei OP-Schwestern, eine Anästhesieschwester) entnahmen die Chirurgen Magnuckis Magen, Dünndarm, Bauchspeicheldrüse und Leber und setzen ihm sein neues „Organ-Quartett“ ein. „Die Organe werden in einem Block eingepflanzt“, beschreibt der Operateur den Eingriff. Noch während der OP sah Prof. Settmacher, wie sich der Kreislauf stabilisierte, die Organe durchblutet wurden. Das war ein gutes Zeichen, denn „die frühe Zeit nach der OP ist die kritischste“, beschreibt der Universitätsprofessor. Dann entscheidet sich, ob der Körper die Organe annimmt oder abstößt. Auch die Infektionsgefahr ist hoch, da die Patienten nach Transplantationen Medikamente nehmen müssen, die die körpereigene Abwehr reduzieren, damit ihr Körper die Organe nicht abstößt. „Je mehr Zeit nach der Transplantation vergeht, umso geringer ist das Risiko, dass die Organe abgestoßen werden“, sagt Prof. Settmacher.
Magnucki, der von sich selbst scherzhaft sagt, er sei „halb ausgeräumt worden“ und habe ein „Organ-Paket“ bekommen, übersteht den Eingriff gut. Nach dreieinhalb Monaten Aufenthalt im Universitätsklinikum Jena und in der Reha kam er erstmals wieder nach Hause. Ganz langsam konnte er wieder Muskelmasse aufbauen. Etwa 20 bis 25 Tabletten muss er nun jeden Tag schlucken. Diese sollen verhindern, dass sein Körper das neue Organ-Set abstößt.
Am 17. August 2017 jährt sich sein Geburtstag mit den neuen Bauchorganen. Den wird er feiern, mit seiner Familie und seinen Freunden. „Ich möchte allen Menschen danken, die um mich gezittert und für mich gebetet haben“, sagt der Katholik. Es wird Kuchen geben, aber keinen Alkohol für Magnucki. Den darf der Transplantierte nicht mehr trinken.
Magnucki möchte jetzt etwas von seinen Erfahrungen weitergeben. Er möchte Organspende-Botschafter werden und informieren, wie wichtig die Organspende ist, dass sie sein Leben gerettet hat, weil sich ein anderer Mensch einmal entschieden hat, nach seinem Ableben Organe zu spenden. „Wir haben zu wenig Spender für die vielen Patienten, die auf den Wartelisten stehen. Der Spenderorganmangel ist unser größtes Problem“, sagt Prof. Settmacher. Für ihn war die Transplantation eines ganzen Bauch-Organ-Sets übrigens keine Premiere. Aber in Thüringen ist das UKJ das einzige Klinikum mit solcher Expertise. Insgesamt hat Prof. Settmacher zusammen mit seinem Team am UKJ seit 2004 schon knapp 700 Lebern, 80 Bauchspeicheldrüsen und über 100 Nieren transplantiert.
Adrian Magnucki sagt: „Ich bin dankbar für den Spender beziehungsweise die Spenderin, dankbar für die Pflege- und Reinigungskräfte, Physiotherapeuten und Ärzte des UKJ (vor allem der Stationen ITS, der IMC2, der B210 und B230) und der Rehaklinik in Kreischa, dankbar für die Nachsorge durch die Lebertransplantations-Ambulanz, durch meine Hausärztin und dankbar für alle meine Angehörigen. Ohne diesen Beistand würde ich nun nicht mehr hier sitzen. Am Anfang habe ich gehadert, mich gefragt, warum ausgerechnet mir so etwas passiert. Jetzt bin ich einfach nur noch dankbar.“