Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) sind meist mit einem hohen Leidensdruck verbunden. Was passiert bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa im Körper?
Prof. Stallmach: Bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen läuft die Immunabwehr des Magen-Darm-Traktes aus dem Ruder. Dabei ist die sogenannte gastrointestinale Barriere, die eigentlich das Eindringen von Krankheitserregern in den Körper verhindern soll, defekt. Es kommt zu überschießenden Entzündungsreaktionen gegen eigentlich harmlose Stoffe, die die Darmschleimhaut schädigen. Die Folge sind häufige, oft blutige Durchfälle, Bauchkrämpfe, teils mit hohem Gewichtsverlust und allgemeine Schwäche. Bei schweren Ausprägungen ist aber nicht nur der Darm betroffen. Es kann auch zu rheumatischen Gelenkbeschwerden, Fieber oder Hautveränderungen kommen – mitunter auch ohne Darmsymptome.
Die Erkrankungen verlaufen in Schüben, sie sind nicht heilbar. Bei der Therapie geht es darum, die Entzündung in Schach zu halten, die Beschwerden zu lindern und komplizierte Verläufe mit teilweise lebensbedrohlichen Komplikationen zu verhindern. Ziel ist der weitgehende Erhalt der Lebensqualität. Wie häufig sind chronisch-entzündliche Darmerkrankungen?
Prof. Stallmach: Schätzungen gehen davon aus, dass auf 100 000 Menschen etwa 200 bis 250 Erkrankte kommen. Umgerechnet auf Thüringen würde das bedeuten, dass hier 4 000 bis 5 000 Betroffene leben.
Welche Ursachen stecken hinter diesen Krankheiten?
Prof. Stallmach: Bei den Erkrankten liegt eine genetische Vorbelastung vor. Auffällig ist zum Beispiel, dass Geschwister von Betroffenen ein deutlich erhöhtes Krankheitsrisiko haben. Es gibt eine ganze Reihe sogenannter CED-Risikogene, also Erbinformationen, die die Entstehung der Darmentzündungen begünstigen. Kommen jetzt zum Beispiel Infektionen oder bestimmte Faktoren in der Lebensweise hinzu, können diese die Erkrankung „ins Rollen bringen“ und akute Schübe auslösen. Zu diesen „Triggern“ gehören zum Beispiel die Ernährung, Alkohol und Zigaretten, aber auch Antibiotika. Einen Einfluss haben auch Umweltfaktoren und die Gewöhnung an bestimmte Umweltreize. Aus Untersuchungen ist zum Beispiel bekannt, dass Menschen auf dem Land weniger betroffen sind. Wahrscheinlich kommt ihr Immunsystem schon frühzeitig mit harmlosen Erregern und Fremdstoffen in Kontakt, wird dadurch trainiert und bildet eine sogenannte „Toleranz“ aus.
Wie werden CED-Erkrankte am UKJ betreut?
Prof. Stallmach: Der Schwerpunkt liegt auf der kontinuierlichen ambulanten Behandlung der Betroffenen, in schweren Fällen ist aber auch eine stationäre Aufnahme erforderlich. Unsere Klinik verfügt über eine Ambulanz, in der jährlich etwa 1 400 CED-Erkrankte betreut werden – davon 800 mit Morbus Crohn und 600 mit Colitis ulcerosa. Natürlich gelingt dieses nur durch den engagierten Einsatz der Ärzte und Pflegekräfte in der Ambulanz. Wichtig ist auch die Zusammenarbeit mit den Kollegen aus der Viszeralchirurgie; hierzu haben wir eine gemeinsame interdisziplinäre Konferenz ähnlich des Tumorboards etabliert. In unserer Ambulanz steht eine kontinuierliche Betreuung mit der medikamentösen Behandlung im Vordergrund.
Das heißt Kortison?
Prof. Stallmach: Im akuten Schub wirkt Kortison gut, deshalb hat dieses Medikament nach wie vor einen wichtigen Platz in der Therapie. Weil es aber bei längerer Einnahme über Wochen auch sehr starke Nebenwirkungen hat, setzen wir zunehmend auf innovative Medikamente – und dabei arbeitet die CED-Ambulanz mit unserer Studienambulanz zusammen. Seit einigen Jahren sind sogenannte Biologicals verfügbar. Das sind biotechnologisch hergestellte Substanzen, die in der Lage sind, ganz gezielt in die Entzündungskaskade einzugreifen. Die Biologicals blockieren bestimmte Botenstoffe, die die Entzündung in Gang setzen. Anders als Kortison, das die Entzündung ganz breit und nicht spezifisch unterdrückt, regulieren diese neuen Wirkstoffe das Immunsystem und kommen der Entzündung so zuvor.
Wann ist der günstigste Zeitpunkt für die Behandlung mit Biologicals, im frühen Stadium oder erst bei fortschreitendem Krankheitsverlauf?
Prof. Stallmach: Je früher, desto besser sind die Chancen auf eine lange Phase der Beschwerdefreiheit. Bei Erkrankten, die schon über lange Zeit mit verschiedenen anderen Medikamenten behandelt wurden, weist der Darm in der Regel schon Strukturschäden auf. Biologicals schlagen allerdings noch nicht bei jedem Patienten an. Warum das so ist, will die klinische Forschung, an der auch unsere Ambulanz beteiligt ist, herausfinden. Wenn man weiß, warum die neuen Medikamente bei manchen besser wirken als bei anderen, könnte man sie sehr viel zielgenauer einsetzen.
Wann ist bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen eine Operation erforderlich?
Prof. Stallmach: Bei schweren Krankheitsverläufen, die sich mit Medikamenten nur zeitweise abmildern lassen und bei denen die Darmstruktur beschädigt ist – etwa durch Verengungen, Fisteln oder drohender bösartiger Entartung – kann eine Operation angezeigt sein. Das ist bei Morbus Crohn gar nicht so selten. Ein gutes Drittel der Erkrankten wird mindestens einmal operiert, bei Colitis ulcerosa ist es etwa jeder zwanzigste Betroffene. Die Entscheidung für einen solchen in der Regel minimalinvasiven Eingriff treffen Magen-Darm-Spezialisten (Gastroenterologen) und Chirurgen gemeinsam in der interdisziplinären Fallkonferenz.
Wie gut sind die Erfolgsaussichten bei einer OP?
Prof. Stallmach: Eigentlich mehr eine Frage an einen Chirurgen; also der Versuch eines Internisten, diese zu beantworten: Eine vollständige Heilung von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen ist auch durch eine Operation nicht möglich. Je nachdem, welcher Darmteil betroffen und wie ausgeprägt die Entzündung ist, können die Patienten aber danach bis zu drei bis fünf Jahre weitgehend beschwerdefrei leben. Das verbessert ihre Lebensqualität deutlich. Viele Patienten berichten nach einer Operation, dass sie sich eigentlich früher hätten operieren lassen, wenn sie gewusst hätten, wie gut es ihnen jetzt geht.
Welche Rolle spielt die Ernährung bei der Therapie chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen?
Prof. Stallmach: Die Darmentzündung beeinträchtigt die Nahrungsaufnahme, häufige starke Durchfälle entziehen dem Körper Flüssigkeit und Mineralstoffe, oft schränken Betroffene wegen Bauchschmerzen das Essen ein. Das führt im akuten Schub zu Mangelzuständen, Untergewicht und teilweise sogar zu lebensbedrohlicher Unterernährung. Etwa ein Drittel der Patienten benötigt deshalb eine spezielle, sehr energiereiche Nahrung mit einem besonders hohen Gehalt an Vitaminen und Mineralien. Sinnvoll ist eine Ernährungstherapie durch geschulte Ernährungsmediziner oder -berater aber für jeden CED-Patienten.