Manchmal treten im Leben kleinere und größere Schwierigkeiten auf, welche die eigenen Kräfte überfordern, gerade auch bei Kindern und Jugendlichen. Dann ist es gut, wenn Profis mit Rat und Tat zur Seite stehen und Unterstützung anbieten können. Am Universitätsklinikum Jena leitet Prof. Dr. Florian Zepf die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie.
Nehmen psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen zu?
Prof. Zepf: Es gibt hierzu Daten, die nahelegen, dass es insgesamt eine Zunahme der diagnostizierten psychischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter gibt. Was wir im klinischen Alltag jedoch auch erleben ist eine Zunahme des individuellen Schweregrades bei Patienten in dieser Altersgruppe. Wir behandeln gerade auch jüngere Patienten, die oftmals länger und schwerer erkrankt sind, als es noch vor ein paar Jahren der Fall war.
Gibt es medizinische Erklärungen oder auch Studien über mögliche Ursachen für diese Entwicklung?
Prof. Zepf: Wir gehen bei unserer Diagnostik davon aus, und dies ist auch die gängige Lehrmeinung, dass es für psychiatrische Störungen im Kindes- und Jugendalter nicht nur einen einzigen Grund gibt, der die gesamte Symptomatik erklärt, sondern meistens sind es vielfältige Gründe. Diese können biologischer Natur sein, psychischer oder sozialer Natur, aber auch entwicklungsbezogen oder, und so stellt es sich in den meisten Fällen auch dar, eine Kombination von solchen Faktoren. Wir müssen uns dann fragen, warum kommt dieser oder jener junge Patient mit einem spezifischen Symptom gerade zu diesem Zeitpunkt zu uns. Folglich erarbeiten wir dann ein individuelles Störungsmodell, auf dessen Grundlage wir schauen, was die auslösenden Faktoren sind, was vielleicht auch schützende oder möglicherweise aufrechterhaltende Faktoren sind. All diese Aspekte schauen wir uns an und entwickeln danach einen Behandlungsplan. Ganz individuell.
Beobachten Sie zudem auch ein gesellschaftliches Phänomen?
Prof. Zepf: Es gibt Hinweise darauf, dass Kinder und Jugendliche in unserer heutigen Gesellschaft vermehrt unter Stress geraten, gerade auch im schulischen Kontext. Das heißt, dass da ein großer Druck aufgebaut wird. Das deutsche Schulsystem ist in gewisser Art und Weise auch ein besonderes, denn die Angst vor dem Sitzenbleiben gibt es zum Beispiel in anderen Ländern gar nicht. Daran ist auch eine gewisse existentielle Komponente mit Zukunftsplanung gekoppelt, denn ein guter Schulabschluss ist gewissermaßen auch eine „Eintrittskarte“ bzw. ein Startvorteil für eine gute und erfolgreiche Berufslaufbahn. Eltern sind sich dessen oft sehr bewusst, und somit auch die Kinder bzw. die Jugendlichen. Dadurch entsteht oft eine erhebliche Drucksituation. Denn jeder weiß, Schwierigkeiten in der Schule führen meist zu weiterführenden Problemen. Daraus resultieren wiederum oft Belastungsmomente wie Schlafstörungen, Kopfschmerzen oder auch Tendenzen für andere körperliche Beschwerden bis hin zu depressiven Störungen und Angststörungen, die dazu führen können, dass Kinder nicht mehr in die Schule gehen möchten.