Bösartige Tumoren der Kopf- Hals-Region gehören inzwischen zu den häufigsten Krebsarten weltweit und auch in Deutschland. Im Universitätsklinikum Jena werden Patienten mit diesen Tumoren im zertifizierten Kopf- Hals-Tumor-Zentrum behandelt, das gemeinsam von Prof. Dr. Dr. Stefan Schultze-Mosgau, Direktor der Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie/Plastische Chirurgie, und Prof. Dr. Orlando Guntinas-Lichius, Direktor der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde geleitet wird.
Beim Begriff HNO-Klinik denken wir nicht zuerst an bösartige Tumorerkrankungen. Wie häufig kommen Sie vor?
Prof. Guntinas-Lichius: Tatsächlich spielt die Behandlung von Tumorpatienten in der universitären HNO-Heilkunde eine große Rolle und ist ein wesentlicher Teil unseres Klinikalltags. Wir betreuen allein am UKJ jedes Jahr über 100 neue Patienten mit bösartigen Kopf-Hals-Tumoren. Darüber hinaus sehen wir in der Nachsorgesprechstunde wöchentlich zwischen 50 bis 60 Patienten.
Kopf-Hals-Tumoren sind eine große Überschrift. Welche Arten werden darunter zusammengefasst?
Prof. Guntinas-Lichius: Wir unterscheiden Lippentumoren, Tumoren in der Mundhöhle, Tumoren des Mundrachens, des Nasenrachens, des tiefen Rachens und des Kehlkopfes. Das sind die Hauptgruppen. Diese Tumoren verhalten sich sehr unterschiedlich. Und dementsprechend verschieden sind daher auch die Therapiekonzepte. Eine Besonderheit unserer Klinik ist es, dass wir uns auch sehr stark mit bösartigen Tumoren in den Speicheldrüsen beschäftigen. Diese Tumoren treten sehr selten auf und sollten am besten nur in spezialisierten Zentren wie dem unsrigen behandelt werden.
Sind die Ursachen für Kopf-Hals-Tumoren bekannt?
Prof. Guntinas-Lichius: Speziell für Deutschland – in anderen Ländern hat sich das ein wenig anders entwickelt – können wir sagen, dass die dominierenden Faktoren heute immer noch das Rauchen und der Alkoholkonsum sind, besonders aber das Zusammenspiel beider. In den letzten Jahren ist allerdings ein neuer Risikofaktor dazu gekommen. Wir beobachten, dass auch eine Infektion mit humanen Papillomviren (HPV) im Kopf-Hals-Bereich mit dem Auftreten dieser Tumoren verbunden ist. Das Virus ist ja gut bekannt durch den Gebärmutterhalskrebs. Aber seit etwa zehn Jahren gilt es als gesichert, dass es sich bei diesen HPV-positiven Tumoren im Kopf-Hals-Bereich um eine eigene Untergruppe handelt. Auffallend ist, dass diese Untergruppe rasant ansteigt.
Gibt es Erkenntnisse darüber, warum das so ist?
Prof. Guntinas-Lichius: Das ist nicht ganz klar, weil wir über den Verbreitungsweg dieser Viren noch nicht alles wissen. Allerdings vermuten wir, dass das Sexualverhalten, ähnlich wie beim Gebärmutterhalskrebs auch, hier eine Ursache sein kann. Allerdings gibt es dazu bislang nur wenige gute Untersuchungen, und diese sind noch nicht aussagekräftig genug, um das Sexualverhalten tatsächlich genau als Ursache bestätigen zu können.
Woran erkennt man selbst, ob sich ein Kopf-Hals-Tumor entwickelt?
Prof. Guntinas-Lichius: Das ist tatsächlich ein Problem bei dieser Art Tumoren. Die Hälfte aller Kopf-Hals-Tumoren entdecken wir erst im fortgeschrittenen Stadium. Das liegt daran, dass die Symptome nicht eindeutig sind. Das können Schluckbeschwerden, Schmerzen oder Schwellungen am Hals sein. Andere beschreiben ein Fremdkörpergefühl oder einfach nur ein Kratzen. Bis diese Symptome massiv auftreten, ist der Tumor meist schon sehr groß. Die einzige Ausnahme mit einem klaren frühen Symptom sind die Gruppe der Kehlkopftumoren, weil Patienten, die einen Kehlkopftumor entwickeln, bereits bei einem kleinen Tumor bleibend heiser werden. Deshalb sagt man allgemein, wer länger als sechs Woche heiser ist, sollte einen HNO-Arzt aufsuchen.
Sind Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren jünger als andere an Krebs erkrankte Menschen?
Prof. Guntinas-Lichius: Ja und nein. Unsere Patienten mit den klassischen Risikofaktoren sind im höheren Erwerbsalter, in der Regel also zwischen 50 und 60 Jahre alt. Das Besondere sind die Patienten mit den HPV-assoziierten Tumoren. Die kommen bereits bei jüngeren Menschen vor.
Welche Therapieoptionen können wir Patienten anbieten?
Prof. Guntinas-Lichius: Zunächst müssen wir natürlich schauen, wie groß der Tumor ist und vor allem, ob er bereits in die Lymphknoten oder gar in den Körper gestreut hat. Anders als bei anderen Tumoren ist dieses Risiko geringer. Prinzipiell ist es dann so, dass eine Operation, eine Bestrahlung oder eine klassische Chemotherapie in Frage kommt. Allerdings gibt es im Gegensatz zu anderen Krebsarten bei den Kopf-Hals-Tumoren keine alleinige Chemotherapie. Wenn diese eingesetzt wird, handelt es sich in der Regel um eine Kombination mit einer Strahlentherapie. Durch die heutigen Möglichkeiten sind die Heilungschancen für die meisten unserer Patienten recht gut. Aber dennoch brauchen diese Patienten oft sowohl Operation als auch Bestrahlung und Chemotherapie.
Apropos Operation. Wie operieren wir diese Tumoren am UKJ?
Prof. Guntinas-Lichius: Wir versuchen unsere Patienten natürlich sehr schonend zu operieren. Dies gelingt mit minimalinvasiven Verfahren. Das bedeutet, wir haben sehr viele Möglichkeiten, direkt durch den Mund oder über die Nase, also ohne einen großen Schnitt von außen, an die Tumoren heranzukommen. Aber: Insbesondere bei weit fortgeschrittenen Tumoren praktizieren wir auch die große, offene Chirurgie. Natürlich müssen wir bei größeren Gewebsdefekten häufig rekonstruktiv vorgehen. Das heißt, dass wir oft mit Lappenplastiken arbeiten, sowohl mit als auch ohne Knochen. Diese Operationen zum Knochenersatz übernehmen unsere Kollegen aus der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie. Hier spielt einerseits die Funktionalität eine wichtige Rolle, zum Beispiel beim Essen und Trinken. Für die Patienten hat aber vor allem auch das ästhetische Ergebnis große Bedeutung. Denn: Das Gesicht kann man nicht verstecken.
Bietet das Universitätsklinikum Jena hier in der Behandlung einen Vorteil?
Prof. Guntinas-Lichius: Ganz klar. Wir sind zertifiziertes Kopf-Hals-Tumor-Zentrum. Das heißt, wir erfüllen quasi den höchsten Standard, den man in Deutschland für Patienten mit dieser Erkrankung vorhalten kann. Man braucht ein großes interdisziplinäres Team, neben den erwähnten HNO- und MKG-Spezialisten werden Onkologen, Radioonkologen, Psychoonkologen und Ernährungsspezialisten hinzugezogen. Und das ist eine große Stärke. Und man darf nicht vergessen, dass wir sehr viel Forschung in diesem Bereich betreiben.
Was erforschen wir genau?
Prof. Guntinas-Lichius: Zum einen bewegt uns sehr, ob und wie wir diese Tumoren besser und vor allem früher erkennen können. Das zweite ist, dass wir bei diesen Tumoren begrenzt sind indem, wie wir operativ vorgehen können. Viele wichtige Strukturen und Leitungsbahnen laufen durch den Hals und diese wollen wir natürlich nicht beschädigen. Deshalb sind wir sehr darauf angewiesen zu erkennen, wo der Tumor aufhört. Wir erforschen deshalb, wie wir anhand biophotonischer Verfahren diese Tumorgrenzen besser erkennen.
Gibt es am UKJ noch weitere, ganz neue Behandlungsoptionen?
Prof. Guntinas-Lichius: Selbstverständlich. Wir haben erstmals auch Antikörper im Einsatz. Diesen immunonkologischen Ansatz kennen wir bereits von anderen Krebsformen. Diese neuen Antikörper sind gerade zugelassen worden und spielen vor allem bei Patienten eine große Rolle, die erneut einen Tumor bekommen. Dabei handelt es sich um Medikamente, die unser Immunsystem stärken, um den Tumor zu bekämpfen. Die Zusammenarbeit mit der internistischen Onkologie ist dafür Voraussetzung. Der Therapieeffekt ist hier ganz immens.
Plant das UKJ weitere Neuerungen?
Prof. Guntinas-Lichius: Absolut. Geplant ist für die kommenden Monate, am UKJ ein hypermodernes robotisches Visualisierungssystem zu installieren. Damit werden wir eine der ersten Kliniken in Deutschland sein. Das System heißt KINEVO und ist mit mehr Funktionalitäten ausgestattet als jedes andere Operationsmikroskop. Es verbindet sozusagen die digitale mit der optischen Visualisierung. Es beeindruckt mit seiner vom Chirurgen gesteuerten Robotik. Der größte Gewinn ist allerdings die Sicherheit in einem nahezu ununterbrochenen Arbeitsablauf.
(Interview: Annett Lott)
Zertifiziertes Zentrum
Patienten mit Tumoren in der Kopf- und Halsregion werden am UKJ im Kopf-Hals-Tumor-Zentrum behandelt. Dieses wird gemeinsam geleitet von der HNO-Klinik und der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Das Zentrum wurde durch die Deutsche Krebsgesellschaft zertifiziert – nur Einrichtungen mit herausragender Qualität und einer hohen Zahl an Patienten mit komplexen Erkrankungen erhalten dieses Qualitätssiegel. Das Kopf- Hals-Tumor-Zentrum gehört zu den Organkrebszentren des UKJ, die alle unter dem Dach des UniversitätsTumorCentrums (UTC) vereint sind. Hier arbeiten Spezialisten verschiedener Fachrichtungen und Berufsgruppen interdisziplinär eng zusammen. Um die Qualität bei der Früherkennung, Diagnostik, Therapie und Nachsorge onkologischer Erkrankungen zu verbessern, werden bereits zertifizierte Zentren jährlich durch die Deutsche Krebsgesellschaft überprüft, in einem dreijährlichen Rhythmus erfolgt eine komplette Rezertifizierung nach den strengen Kriterien der Zertifizierungskommission der Gesellschaft.
Schutz durch Impfung
Neben Rauchen und Alkoholkonsum – und vor allem der Kombination von beidem – zählt auch eine Infektion mit humanen Papillomviren (HPV) zu den Risikofaktoren für einen Tumor im Kopf-Hals-Bereich. Seit etwa zehn Jahren gilt es als sicher, dass das Virus nicht nur Gebärmutterhalskrebs auslöst, sondern auch Tumoren im HNO-Bereich verursachen kann. Mit einer Impfung gegen HPV können diese Erkrankungen verhindert werden. Dies gilt sowohl für Mädchen als auch für Jungen. 2018 hat die Ständige Impfkommission (STIKO) des Robert-Koch-Instituts eine überarbeitete Empfehlung veröffentlicht, wonach die Impfung gegen humane Papillomviren für alle Jungen im Alter von neun bis 14 Jahren vorgesehen ist. Mittlerweile übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen daher auch für Jungen die Kosten. Für Mädchen gilt dies bereits seit 2007. Auch für sie wird eine Impfung zwischen neun und 14 Jahren empfohlen, wobei bis zum 18. Geburtstag nachgeimpft werden kann. Noch sind die Impfraten in Deutschland niedrig. In Ländern, in denen beide Geschlechter schon seit Jahren geimpft werden, sind die HPV-assoziierten Erkrankungen massiv zurückgegangen.
Kontakt
Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde Haus A | Am Klinikum 1 07747 Jena Poliklinik (wochentags 8.00 – 18.00 Uhr): Tel. 03641 9-32 93 93/9-32 93 94
Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie/ Plastische Chirurgie C1 | Am Klinikum 1 07747 Jena Terminvereinbarung Tel. 03641 9-32 36 50
Zum Klinikmagazin: Seit mehr als 20 Jahren existiert das Klinikmagazin des Universitätsklinikums Jena. Es erscheint vierteljährlich und stellt aktuelle Themen aus Medizin und Pflege vor, nennt Ansprechpartner am UKJ und blickt auch hinter die Kulissen von Thüringens größter Klinik. Im Fokus der aktuellen Ausgabe stehen Themen rund um Tumoren im Kopf-Hals-Bereich. Die Online-Version des Magazins (Ausgabe 02/2020) ist hier zu finden: https://www.uniklinikum-jena.de/Klinikmagazin.html. Auch ältere Ausgaben sind online abrufbar. Das Klinikmagazin kann außerdem kostenlos bestellt werden: Einfach per Mail an oder per Telefon unter der Telefonnummer: 03641/9-391181.