Der Jenaer Universitätskarzer ist wegen seiner Wandmalereien bekannt, die der Schweizer Student Martin Disteli dort anbrachte (Wahl, 1991). Er war in der Burschenschaft politisch aktiv und setzte sich für vaterländische und demokratische Ideale ein. Am 30. Juli 1822 besuchte er zwei andere Burschenschafter, die in dem Karzer eine Haftstrafe verbüßten. Bei dieser Gelegenheit brachte er die Kohlezeichnungen an, die zwei Motive aus der römischen Geschichte beinhalten: den "Raub der Sabinerinnen", in Gestalt von Professoren, die sich mit Damen aus dem Staub machen (Abb. 3), und "Marius auf Carthago", einem älteren Studenten (Abb. 4). Der Kopf neben der Türe über dem Ofen wurde als eine Karikatur Goethes gedeutet (Abb. 5). Die Wandgemälde zogen eine große Aufmerksamkeit auf sich und der Karzer wurde zeitweise geschlossen um sie zu erhalten.
Historischer Karzer der Universität Jena
Abbildung 1. Rundumbild des Karzers (niedrige Auflösung). Photo: © J.-P. Kasper, FSU Jena
Als Karzer wurden Arrestzellen in deutschen Universitäten bezeichnet, in denen bis Anfang des 20. Jahrhunderts Vergehen im Rahmen der eigenen akademischen Gerichtsbarkeit der Universitäten geahndet wurden. Allerdings wurde schon im 19. Jahrhundert das Einsitzen im Karzer nicht mehr als schwerer Eingriff in die persönliche Freiheit, sondern zum Teil auch als eine amüsante Disziplinarstrafe gesehen (Wikipedia-Artikel zu Karzern).
Die Universität Jena bekam schon kurz nach ihrer Gründung im Jahr 1548 die Strafgerichtsbarkeit bei "nicht peinlichen" Verfehlungen der Studierenden (z.B. Beleidigungen, Schlägereien usw.) übertragen. Sie unterhielt zeitweise bis zu neun Karzer an unterschiedlichen Stellen der Universität. Von diesen Universitätskarzern ist heute nur noch einer erhalten. Er befindet sich in dem Gebäude, das an das alte Senatsgebäude der Universität grenzt und Teile des Instituts für Anatomie beherbergt. Das Fenster dieses Karzers, der 1738 errichtet und bis Mitte des 19. Jahrhunderts genutzt wurde, erlaubt einen Blick auf den Hof des ehemaligen Dominikaner-Klosters ("Kollegienhof", Abb. 2; Wahl, 1985). Die Karzerordnung aus dem Jahr 1853 finden Sie hier.
Abbildung 3. Wandgemälde "Raub der Sabinerinnen", M. Disteli, 1822. Photo: © J.-P. Kasper, FSU Jena
Abbildung 4. Wandgemälde "Marius auf Carthago", M. Disteli, 1822. Photo: © J.-P. Kasper, FSU Jena
Abbildung 5. Der Karzerofen aus dem Jahr 1738. Die Zeichnung links oben im Bild wurde als Karikatur von J. W. v. Goethe gedeutet (M. Disteli, 1822). Photo: © J.-P. Kasper, FSU Jena
Abbildung 6. Mobiliar des Karzers. Photo: © J.-P. Kasper, FSU Jena
Abbildung 7. Diverse Inschriften von einsitzenden Delinquenten. Photo: © J.-P. Kasper, FSU Jena
Später bekam Disteli zum wiederholten Male Schwierigkeiten mit der Obrigkeit. Er wurde als Rädelsführer einer Gruppe von Studenten identifiziert, die den weimarischen Staatsminister Goethe an seinem 74. Geburtstag am 28. August 1823 auf dem Markt öffentlich verunglimpften. Einer Vorladung deswegen leistete Disteli keine Folge und setzte sich Ende 1823 in die Schweiz ab. Der Senat der Universität beschloss daraufhin seinen Ausschluss aus der Universität. Disteli wurde in der Schweiz als Maler und liberaler Polit-Karikaturist bekannt, der seinen freiheitlichen Idealen bis zu seinem Tode im Jahr 1844 in Solothurn treu blieb.
Literatur:
- Koch, Herbert (1960) Der Raub der Sabinerinnen – ein Jenaer Karzerbild. In: Altes und Neues aus Jena. Ein Heimatbuch aus dem mittleren Saaletal. Hrsg. von Deutscher Kulturbund Jena, Jena, S. 23-26.
- Wahl, Volker (1985) Das COLLEGIUM JENENSE - die Gründungsstätte der Universität Jena in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Gesellschaftswissenschaftliche Reihe, S. 635-666. Zum Artikel (mit freundlicher Genehmigung des Verfassers)
- Wahl, Volker (1991) Aus der Geschichte des Jenaer Universitätskarzers. In: Jena soll leben. Beiträge zum historischen Studentenleben an der Universität Jena (Schmutzer, Ernst, Hrsg.), Friedrich-Schiller-Universität Jena, Jena, S. 57-85. Zum Artikel (mit freundlicher Genehmigung des Verfassers)
Link zum hochauflösenden Rundumbild © J.-P. Kasper, FSU Jena
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Text: C. Redies, 2019