Allgemeine Empfehlungen zur Delir Diagnostik
Hintergrund:
Akute Verwirrtheitszustände, auch als Delir bezeichnet, zählen bei älteren Menschen zu den häufigsten Komplikationen während eines stationären Krankenhausaufenthaltes (Inouye, 2006, Saczynski et al., 2012, Inouye et al., 2013). Das Delir ist nach ICD-10 charakterisiert durch gleichzeitig bestehende Störungen des Bewusstseins und der Aufmerksamkeit, der Wahrnehmung, des Denkens, des Gedächtnisses, der Psychomotorik, der Emotionalität und des Schlaf-Wach-Rhythmus. Die Dauer ist sehr unterschiedlich. Der Schweregrad reicht von leicht bis zu sehr schwer. Das Alkoholentzugsdelir ist bei dieser Definition explizit ausgenommen.
Als prädisponierende Faktoren gelten vor allem höheres Lebensalter sowie vorbestehende kognitive Einschränkungen, die die sog. kognitive Reservekapazität reduzieren (Inouye et al., 2013). So neigen insbesondere Patienten mit demenziellen Erkrankungen oder auch einer leichten kognitiven Einschränkung ohne Demenz zu einem Delir. Jedoch zählen auch sensorische Störungen wie Hör- und Sehstörungen sowie Immobilität, Depression und Multimorbidität zu den begünstigenden Faktoren (Inouye and Charpentier, 1996, Ely et al., 2004).
Ist ein Patient von einem oder gar mehreren dieser Faktoren betroffen, führen Akutereignisse im Sinne von auslösenden Faktoren wie zum Beispiel ein operativer Eingriff mit Intubationsanästhesie, ein akuter Infekt, ein unbedachter Einsatz psychoaktiver oder sedierender Medikamente bzw. die verschiedenen Maßnahmen auf der Station zur Entstehung eines akuten Delirs. Dabei reichen beim Zusammentreffen mehrerer Prädispositionsfaktoren bzw. einer hohen Vulnerabilität häufig schon geringe Auslösefaktoren zur Entwicklung eines Delirs aus.
Das Auftreten eines Delirs im Laufe des stationären Aufenthaltes kann fatale Folgen haben: so ist die Verweildauer im Krankenhaus oft deutlich verlängert und die 6-Monats-Mortalität bei diesen Patienten um bis zu 30 % erhöht (Ely et al., 2004). Auch können die kognitiven Defizite länger anhalten und die Entwicklung einer Demenz bei diesen Patienten begünstigen (Rockwood et al., 1999). Verschiedene Studien weisen jedoch darauf hin, dass die Entwicklung eines Delirs in bis zu 40 % der Fälle vermeidbar ist (Inouye et al., 1999, Godfrey et al., 2013, Strijbos et al., 2013). Daher ist es entscheidend, zum einen prädisponierende Faktoren zu erfassen, um präventive Strategien einsetzen zu können, und zum anderen zeitnah ein Delir zu diagnostizieren.
Diagnostik Delir:
Confusion Assessment Method
Als Goldstandard zur klinischen Delirdiagnostik gilt die Confusion Assessment Method, kurz CAM (Inouye et al., 1990). Dabei gilt ein Delir als wahrscheinlich, wenn folgende Kriterien vorliegen:
- akutes Auftreten und fluktuierender Verlauf
und - Aufmerksamkeits-/Konzentrationsstörung
und - Denkstörung
oder - Bewusstseinsstörung
Zur Anwendung auf der Intensivstation liegt eine eigene Testversion vor.
4AT
Als weiteres einfaches und schnelles Testinstrument, das keine Schulung des Untersuchers erfordert, gilt der 4AT Test (Belleli et al., 2014), der über das Internet auch in verschiedenen Sprachen zum Download zur Verfügung steht (http://www.the4at.com/).
[1] Wachheit
Dieser Punkt soll auch bei schwer erweckbaren, schläfrigen oder agitierten/hyperaktiven Patienten angewendet werden.
Beobachten Sie den Patienten. Wenn sie/er schläft, versuchen Sie sie/ihn durch Ansprache oder durch eine Berührung an der Schulter aufzuwecken. Fragen Sie etwa nach dem Namen und der Adresse, um die Beurteilung zu erleichtern.
Normale Reaktion (komplett aufmerksam, nicht agitiert). 0
Weniger als 10 Sekunden schläfrig, dann normal. 0
Deutlich unnormale Reaktion. 4
[2] Orientierung (4AMT)
Korrekte Nennung von Alter, Geburtsdatum, aktuellem Ort (Name der Klinik, des Gebäudes), aktuellem Kalenderjahr.
Fehlerfrei. 0
1 Fehler. 1
2 oder mehr Fehler. 2
[3] Aufmerksamkeit
Fordern Sie den Patienten auf: „Nennen Sie mir die Monate eines Jahres rückwärts, beginnend mit Dezember.“
Zum Verständnis der Aufgabe ist als Hilfestellung die Frage „Welcher Monat kommt vor dem Dezember?”, etc., erlaubt.
Nennung von sieben oder mehr Monaten in korrekter Reihe. 0
Beginnt, erreicht aber nicht sieben Monate, keine Compliance. 1
Nicht durchführbar (sediert/fehlende Wachheit, Unwohlsein). 2
[4] Fluktuierende Symptomatik
Hinweis auf deutliche Änderung oder wechselnde Symptome bezüglich Aufmerksamkeit oder Wahrnehmung, (z.B. auch
Halluzinationen) die innerhalb der zwei Wochen begannen und in den vergangenen 24 Stunden noch bestanden.
Nein. 0
Ja. 4
_________________________________________________________________________________________________________
4 oder mehr Punkte: Delir möglich 4AT SCORE
+/- kognitive Beeinträchtigung
1-3: mögliche kognitive Beeinträchtigung
0: Delir oder schwere kognitive Beeinträchtigung unwahrscheinlich, aber möglich, wenn [4] unvollständig
Diagnostik vorbestehender kognitiver Defizite
Da neben dem Alter vorbestehende kognitive Beeinträchtigungen zu den stärksten prädisponierenden Faktoren zählen, ist auch deren Erfassung sinnvoll.
Anerkannte Testverfahren in diesem Kontext sind u.a. das Montreal Cognitive Assessment (MoCA (Nasreddine et al., 2005)), der Mini Mental Test (MMST (Folstein et al., 1975)) oder auch der Uhrenzeichentest (Shulman et al., 1993).
Dabei ist der MoCa Test sensitiver für leichte kognitive Störungen und ebenfalls über das Internet in unterschiedlichen Sprachen frei herunterzuladen (http://www.mocatest.org/pdf_files/test/MOCA-Test-German2.pdf). Der MMST ist ebenfalls über das Internet verfügbar (http://www.dimdi.org/static/de/klassi/icd-10-gm/kodesuche/onlinefassungen/htmlgm2012/zusatz-mmse.htm) und wird vor allem bei älteren Patienten mit Akuterkrankungen eingesetzt, da er aufgrund seiner geringeren Sensitivität bei leichten kognitiven Einschränkungen im Rahmen der Akuterkrankung noch keine pathologischen Ergebnisse liefert. Der Uhrenzeichentest hat sich in Kombination mit dem MMST vor allem im präoperativen Setting bewährt (Gurlit et al., 2008).
Zusätzliche Testverfahren sowohl zur Kognition als auch zur funktionellen Beeinträchtigung als weiterem prädisponierendem Faktor finden sich unter https://kcgeriatrie.de/Info-Service_Geriatrie/Seiten/default.aspx.
Diagnostik auslösender Faktoren
Davon unbenommen ist beim Auftreten eines Delirs die gezielte Diagnostik zur Erfassung auslösender Faktoren indiziert. Hier gilt es vor allem, die im Alter oft oligosymptomatisch verlaufenden Infekte oder auch Stoffwechselentgleisungen nachzuweisen bzw. auszuschließen. Auch ist die Medikamentenliste auf mögliche Delir auslösende oder begünstigende Arzneimittel zu prüfen. Dazu zählen vor allem Wirkstoffe mit zentraler Wirkung bzw. anticholinergem Potential.
Die Diagnostik im Einzelnen richtet sich nach dem aktuellen klinischen Bild und den Vorerkrankungen sowie der vorbestehenden oder aktuell veränderten Medikation.
Literatur
Bellelli G, Morandi A, Davis DHJ, et al. Validation of the 4AT, a new instrument for rapid delirium screening: a study in 234 hospitalised older people. Age and ageing 2014;43:496-502.
Ely EW, Shintani A, Truman B, Speroff T, Gordon SM, Harrell FE, Inouye SK, Bernard GR, Dittus RS (2004) Delirium as a predictor of mortality in mechanically ventilated patients in the intensive care unit. Jama-J Am Med Assoc 291:1753-1762
Folstein MF, Folstein SE, McHugh PR. "Mini-mental state". A practical method for grading the cognitive state of patients for the clinician. Journal of psychiatric research 1975;12:189-198
Godfrey M, Smith J, Green J, Cheater F, Inouye SK, Young JB (2013) Developing and implementing an integrated delirium prevention system of care: a theory driven, participatory research study. Bmc Health Serv Res 13.
Gurlit S, Mollmann M (2008) How to prevent perioperative delirium in the elderly? Z Gerontol Geriatr 41:447-452
Inouye SK, van Dyck CH, Alessi CA, Balkin S, Siegal AP, Horwitz RI. Clarifying confusion: the confusion assessment method. A new method for detection of delirium. Annals of internal medicine 1990;113:941-948.
Inouye SK, Bogardus ST, Charpentier PA, Leo-Summers L, Acampora D, Holford TR, Cooney LW (1999) A multicomponent intervention to prevent delirium in hospitalized older patients. New Engl J Med 340:669-676
Inouye SK (2006) Current concepts - Delirium in older persons. New Engl J Med 354:1157-1165.
Inouye SK (2013) The Hospital Elder Life Program ( Help): Advancing Research, Education, and Practice About Delirium. Gerontologist 53:371-371.
Inouye SK, Charpentier PA (1996) Precipitating factors for delirium in hospitalized elderly persons – Predictive model and interrelationship with baseline vulnerability. Jama-J Am Med Assoc 275:852-857
Nasreddine, Ziad S.; Phillips, Natalie A.; Bédirian, Valérie; Charbonneau, Simon; Whitehead, Victor; Collin, Isabelle; Cummings, Jeffrey L.; Chertkow, Howard (2005). "The Montreal Cognitive Assessment, MoCA: a brief screening tool for mild cognitive impairment". Journal of the American Geriatrics Society. 53 (4): 695–699
Rockwood K, Cosway S, Carver D, Jarrett P, Stadnyk K, Fisk J (1999) The risk of dementia and death after delirium. Age Ageing 28:551-556
Saczynski JS, Marcantonio ER, Quach L, Fong TG, Gross A, Inouye SK, Jones RN (2012) Cognitive Trajectories after Postoperative Delirium. New Engl J Med 367:30-39
Shulman, K. I., Gold, D. P., Cohen, C. A. & Zucchero, C. A.: Clock-drawing and dementia in the community: A longitudinal study. International Journal of Geriatric Psychiatry, 8 (1993), 487–496.
Strijbos MJ, Steunenberg B, van der Mast RC, Inouye SK, Schuurmans MJ (2013) Design and methods of the Hospital Elder Life Program (HELP), a multicomponent targeted intervention to prevent delirium in hospitalized older patients: efficacy and cost-effectiveness in Dutch health care. Bmc Geriatr 13