Dass viele alte Menschen täglich teilweise vier, fünf verschiedene Medikamente einnehmen, ist nicht selten. Ist es auch schädlich?
Dr. Kwetkat: Nicht grundsätzlich. Oft erfordert schon eine einzige chronische Erkrankung die Einnahme mehrerer verschiedener Präparate. Das gilt zum Beispiel für die Herzinsuffizienz (Herzschwäche). Deren leitliniengerechte Behandlung umfasst mehrere unterschiedliche Medikamente täglich. Problematisch wird es, wenn – wie im höheren Lebensalter oft der Fall – mehrere Erkrankungen gleichzeitig medikamentös behandelt werden oder wenn Patienten bei mehreren Ärzten in Behandlung sind und zum Beispiel der Orthopäde ein Schmerzmittel derselben Substanzklasse wie der Hausarzt verordnet. Dann kann es passieren, dass der Patient eine zu hohe Dosis einnimmt. Ein weiteres Problem kann entstehen, wenn Medikamente, die im Rahmen eines akuten Gesundheitsproblems verordnet wurden, dauerhaft eingenommen werden, zum Beispiel nach dem Ende einer Krankenhausbehandlung.
Was sind die häufigsten Medikamentengruppen, die Menschen im höheren Lebensalter verordnet werden?
Dr. Kwetkat: Entsprechend der Häufigkeiten chronischer Erkrankungen sind dies vor allem Medikamente zur Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, etwa Medikamente zur Behandlung des Bluthochdrucks oder einer Herzinsuffienz. Aber auch Schmerzmittel sind häufig.
Wie häufig werden zusätzlich freiverkäufliche Medikamente eingenommen? Kann das zu Problemen führen?
Dr. Kwetkat: Aus meiner Sicht spielen freiverkäufliche Medikamente eine wichtige Rolle. Problematisch ist dabei vor allem, dass die behandelnden Ärzte von deren Einnahme oft nichts wissen. Rezeptfreie Medikamente gelten leider in der öffentlichen Wahrnehmung oft fälschlicherweise als „Bagatellmittel“, die keinen Schaden anrichten können. So nach dem Motto: Was es nicht auf Rezept gibt, ist kein „richtiges“ Medikament. Das ist eine heikle Sache, wenn man bedenkt, dass zu den rezeptfrei abgegebenen Präparaten auch bestimmte Schmerzmittel gehören. Für den Patienten ist dann gar nicht ersichtlich, dass er zum Beispiel verschiedene Präparate einer Wirkstoffklasse einnimmt und damit meist die empfohlene Dosis überschreitet. Dies kann dann durchaus sogar zu schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen führen. Auch rezeptfreie pflanzliche Arzneien sind nicht unbedingt harmlos, nur weil sie pflanzlicher Natur sind. Kritisch zu betrachten sind auch Nahrungsergänzungsmittel.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Dr. Kwetkat: Zum Beispiel Johanniskrautpräparate, die auch in Drogerien oder Supermärkten erhältlich sind und die zur Stimmungsaufhellung gekauft werden. Johanniskraut beeinträchtigt die Wirkung bestimmter Blutverdünner wie Marcumar oder Falithrom, die zum Beispiel Patienten mit Herzrhythmusstörungen regelmäßig einnehmen müssen. Eine zuvor stabile Einstellung kann damit völlig durcheinander geraten und somit den Therapieerfolg akut gefährden. Wissenswert ist in dem Zusammenhang auch, dass bei Frauen, die die Pille nehmen, Johanniskraut den Verhütungseffekt herabsetzt.
Welche Fehler werden bei der Einnahme von Medikamenten häufig gemacht?
Dr. Kwetkat: Vor allem die mangelnde Regelmäßigkeit der Einnahme spielt eine wichtige Rolle und ist auch altersunabhängig ein Problem. Ein anderes großes Problem ist die unzureichende Beachtung spezieller Einnahmeanweisungen, zum Beispiel zum Einnahmezeitpunkt oder die Einnahme nüchtern, zur Mahlzeit, nach dem Essen und so weiter. Fehler dabei können die Wirkung der Medikamente beeinträchtigen.
Auch hier wären Beispiele nett.
Dr. Kwetkat: Wer Schilddrüsenhormone einnimmt, muss das nüchtern und mit einem zeitlichen Abstand zum Essen von 30 Minuten tun. Bisphosphonate, eine Medikamentengruppe zur Behandlung von Osteoporose, müssen ebenfalls nüchtern eine ganze Stunde vor dem Essen eingenommen werden. Nach der Einnahme dürfen die Patienten nicht liegen oder sich bücken, sondern nur sitzen oder stehen – anderenfalls können die Präparate Nebenwirkungen verursachen, wie eine Speiseröhrenentzündung zum Beispiel.
Welche Getränke eignen sich am besten zur Einnahme? Welche sind ein absolutes Tabu?
Dr. Kwetkat: Am besten geeignet ist Leitungswasser. Ein absolutes Tabu ist Grapefruitsaft, egal ob aus der Packung oder frisch gepresst. Grapefruit kann je nach Medikament dessen Wirkung abschwächen oder auch unerwünscht verstärken. Auch Milch, Kaffee und Tee sind nicht geeignet – von Alkohol ganz zu schweigen.
Stichwort mangelnde Regelmäßigkeit: Oft spielt bei alten Menschen die Vergesslichkeit eine Rolle – bis hin zu einer ausgeprägten Demenz- Erkrankung. Welche Möglichkeiten gibt es, die regelmäßige Medikamenteneinnahme bei diesen Menschen sicherzustellen?
Dr. Kwetkat: Ein Problem ist das vor allem bei Menschen, die allein zu Hause leben. Ihnen kann der Hausarzt eine sogenannte Behandlungspflege verordnen. Das bedeutet, dass eine Pflegekraft täglich zur Medikamentengabe ins Haus kommt. Empfehlenswert ist das zum Beispiel bei Diabetikern, die Insulin spritzen müssen, oder bei Parkinson-Patienten mit Gedächtnisproblemen oder auch einer eingeschränkten Fingerfertigkeit. Für die Behandlungspflege übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen in der Regel die Kosten.
Nicht immer aber ist gleich eine Behandlungspflege erforderlich. Was dann?
Dr. Kwetkat: Es gibt eine Reihe praktischer Hilfsmittel. Zum Beispiel Medikamentenboxen, in denen sich Tabletten oder Kapseln über Tage hinaus und auch nach Einnahmezeitpunkt vorsortieren lassen. Auch Apotheken bieten hier oft die Vorbereitung der Medikamente in Wochenblisterpackungen an. Grundsätzlich sinnvoll ist ein Alarmierungs- und Erinnerungssystem, das an die Einnahmezeitpunkte erinnert. Zum Beispiel voreingestellter Handyalarm oder – wenn möglich – regelmäßige Erinnerungsanrufe auch durch Angehörige oder Bekannte.
Zur Dämpfung der Arzneimittelkosten schließen gesetzliche Krankenkassen Rabattverträge mit Arzneimittelherstellern ab. Für Versicherte bedeutet das oft wechselnde Namen auf der Pillenpackung oder eine andere Farbe der Tablette. Inwiefern ist das vor allem für alte Menschen ein Problem?
Dr. Kwetkat: Zwar spielt die Farbe einer Tablette therapeutisch keine Rolle. Gerade betagte Patienten sind aber oft über Jahre an „ihre“ Tabletten gewöhnt. Insofern ist der Wechsel auf anders aussehende Produkte schon ein Problem, weil wegen des fehlenden Wiedererkennungseffekts die Therapietreue und die Einhaltung der Einnahmevorschriften erschwert sein können. Auch ist davon auszugehen, dass es den Patienten die Orientierung erschwert, welche Tabletten wofür oder wogegen eingesetzt werden.
Interview: Katrin Zeiß
Klinik für Geriatrie
Dr. Anja Kwetkat
Bachstraße 18, 07743 Jena
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