„Im Idealfall schaffen es unsere Patienten, wenn wir sie nach Hause entlassen, die 35 Stufen in ihre Wohnung wieder allein zu gehen“, beschreibt Chefärztin Dr. Anja Kwetkat ein großes Ziel. Das kann nur ein Teil der über 600 betagten Patienten erreichen, die das gut 40-köpfige interdisziplinäre Team der Klinik für Geriatrie am Universitätsklinikum Jena jährlich betreut - vonseiten der Klinik aber sind alle Voraussetzungen dafür erfüllt. Das bestätigt jetzt das Qualitätssiegel des Bundesver- bandes Geriatrie, das die Klinik nach einem strengen Prüfungsprozess erhalten hat.
Darin wurde beispielsweise kontrolliert, ob Räumlichkeiten und Ausstattung der Klinik den Anforderungen der Geriatrie genügen, ob also zum Beispiel ein separater Raum für Gruppentherapien existiert, in dem sich alle Patienten auch mit Rollstühlen bewegen können. Sehr großer Wert wird auf die Qualifikation des Betreuungsteams gelegt, das in der Jenaer Geriatrie aus Fachärzten mit Zusatzausbildung, Ergo- und Physiotherapeuten, Logopäden, einer Neuropsychologin und Mitarbeitern des Sozialdienstes besteht. Auch viele der Pflegekräfte haben eine spezielle Weiterbildung absolviert.
Geriatrie, die Behandlung älterer, meist mehrfach erkrankter Patienten, ist keine spektakuläre Medizin. „Unser Ziel ist es, die Autonomie unserer Patienten zu erhalten oder so weit wie möglich wiederherzustellen“, so Anja Kwetkat. „Dazu erfassen wir neben den klinischen Daten in einem geriatrischen Assessment regelmäßig auch die kognitiven und motorischen Fähigkeiten und richten daran die Therapie aus.“ Die Patienten kommen zum Beispiel zur Medikamentenneueinstellung oder zur Frührehabilitation nach der operativen Versorgung von Brüchen in die Klinik. Oft müssen die Geriater weitere Erkrankungen diagnostizieren, hier konsultieren sie gegebenenfalls die jeweiligen Spezialisten des Uniklinikums.
Die abgestimmte Therapie der Mehrfacherkrankungen, die häufig schon jahrelang von mehreren Fachärzten mit einer Vielzahl von Medikamenten behandelt werden, erfordert viel Erfahrung. „Dabei müssen wir auch den Willen und die Fähigkeit der Patienten zur Mitwirkung berücksichtigen, die manchmal eingeschränkt sind“, betont die Chefärztin. „Leitlinien erfassen die Probleme der Multimorbidität und Polymedikation nur ungenügend.“ Mehrere Forschungsarbeiten an der Klinik untersuchen deshalb vor dem Hintergrund der geriatrietypischen Multimorbidität z. B. die leitlinienkonforme Behandlung, das Auftreten unerwünschter Arzneimittelwirkungen oder auch den Impfstatus, denn eine Infektion kann die Behandlung um Wochen zurückwerfen.
Durchschnittlich 20 Tage bleiben die Patienten in der Klinik, die auf zwei Stationen insgesamt 39 Betten hat. Seit einem Jahr bietet die Klinik auch zehn Plätze in einer Tagesklinik, die die Schnittstelle zwischen ambulanter und stationärer Versorgung darstellt. Hierher kommen Patienten nach einem vollstationären Klinikaufenthalt oder auch, um einen solchen zu vermeiden. Dieser Präventionsaspekt ist Anja Kwetkat wichtig: „Wenn sich eine Verschlechterung bestehender Krankheiten abzeichnet oder sich alte Menschen aus Angst vor einem Sturz kaum noch bewegen, können wir durch gezielte aktivierende Therapie in der Tagesklinik eine höhere geistige und körperliche Belastbarkeit erreichen.“
Oft haben schon kleine Dinge großen Einfluss auf den Behandlungserfolg: So ist es wichtig, dass Brille oder Hörgerät in der Klinik nicht abhanden kommen, da ansonsten die Gefahr besteht, dass ältere Patienten sich in der fremden Umgebung nicht orientieren und beschäftigen können und deshalb während des Klinikaufenthaltes mental abbauen. Daher suchen die Pflegekräfte auch geduldig eine verlegte Lesebrille oder das Hörgerät - wenn nötig, auch mehrmals am Tag.
Ganz wesentlich ist die Einbeziehung des Patienten selbst und der Familie bzw. der Pflegenden und der Hausärzte. Die Mediziner erfragen die genaue Lebenssituation der Patienten, besprechen ausführlich die Behandlungsmöglichkeiten in der Klinik und vermitteln Ansprechpartner für die Zeit danach. „Wenn nötig fragen wir auch, wie zuhause das Bett steht“, nennt Anja Kwetkat ein Beispiel, das zunächst nach purer Neugier klingt. Doch werden dann auch auf der Station Bett und Nachttisch so gestellt, und der Patient kann den Bewegungsablauf des Aufstehens trainieren. „Das sind dann keine 35 Treppenstufen, aber auch ein wichtiges Stück Selbständigkeit.“
Kontakt:
Dr. Anja Kwetkat
Klinik für Geriatrie, Bachstraße 18, Universitätsklinikum Jena