Im März tritt die vom Bundestag beschlossene Masern-Impfpflicht für Kindergarten- und Schulkinder, Kita-Erzieher, Lehrer und medizinisches Personal in Kraft. Ein Interview dazu mit Prof. Mathias Pletz, Direktor des Instituts für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene, am Universitätsklinikum Jena (UKJ).
Sind Sie froh darüber, dass die Masern-Impfpflicht kommt?
Prof. Pletz: Ich bin ein Verfechter der Masern-Impfpflicht. Wir beobachten seit Jahren mit Sorge, dass die Impfquoten bei Masern, einer Krankheit mit potenziell schwerwiegenden, auch tödlichen Komplikationen, zurückgehen. Dem kann man mit einer Impfpflicht entgegenwirken, das zeigt das Beispiel von Italien. Auch die Reihenimpfungen in der DDR waren sehr effizient. Nachdem die Masern-Schutzimpfung 1970 eingeführt wurde, kam diese Krankheit dort praktisch nicht mehr vor. Das hat sich mit der sinkenden Impfbereitschaft geändert, auch in Thüringen hatten wir in den vergangenen Jahren größere Ausbrüche, etwa in Jena, Weimar oder Erfurt. Meist mit Ursprung in Einrichtungen, in denen viele nichtgeimpfte Menschen aufeinandertreffen. Da verbreiten sich Masern wie Feuer im trockenen Wald.
Was versteht man unter schweren Krankheitsverläufen?
Prof. Pletz: Komplikationen sind sowohl durch den Erreger selbst – ein Virus – als auch durch Bakterien im Schlepptau, sogenannte Superinfektionen, möglich. Das Masern-Virus attackiert die gleichen Zellen, die auch vom Aids-Erreger HIV angegriffen werden. Deshalb funktioniert bei Masern-Patienten die körpereigene Immunabwehr noch eine gewisse Zeit nach Abklingen der Erkrankung nicht, sie sind anfällig für schwere bakterielle Infekte, vor allem für Lungenentzündungen. Gefährlichste durch das Masern-Virus selbst verursachte Komplikation ist SSPE, eine kindliche Demenz, die auch noch Jahre nach der Masern-Erkrankung auftritt und immer tödlich verläuft. Bei Kindern unter einem Jahr gehen neue Studien von einem SSPE-Fall bei 1700 bis 3300 Masern-Erkrankten aus.
Wer profitiert vor allem von der Impfpflicht?
Prof. Pletz: Vor allem jene Menschen, die ansteckungsgefährdeter als andere sind, aber selbst nicht oder noch nicht geimpft werden können. Konkret: sehr kleine Kinder und Menschen mit einer angeborenen oder erworbenen Immunschwäche. Der Masern-Impfstoff ist ein sogenannter Lebendimpfstoff, das heißt, er wird aus abgeschwächten Viren hergestellt. Weil bei Kindern unter einem Jahr das Immunsystem noch nicht ausgereift ist, kann er bei ihnen noch nicht eingesetzt werden. Gleiches gilt für Kinder mit geschwächtem Immunsystem. Sie sind darauf angewiesen, dass möglichst viele Menschen in ihrem Umfeld geimpft sind, wir nennen das den „Herdenschutz“. Von dem profitieren übrigens auch jene, die die Impfung vergessen haben oder sie vehement ablehnen.
Impfgegner bringen hingegen immer wieder vermeintliche Impfschäden ins Spiel, ebenso das Profitinteresse der Pharma-Industrie.
Prof. Pletz: Impfstoffe sind für die Pharma-Branche eher nicht der große Geldbringer. Da die meisten Schutzimpfungen wie die gegen Masern ein Leben lang schützen, können die Impfstoffe auch nur ein- bis zweimal verkauft werden. Die Wahrscheinlichkeit eines Impfschadens wiederum ist extrem gering. Impfstoffe gehören zu den am besten untersuchten Medikamenten. Vor einer Zulassung sind umfangreiche Studien erforderlich, für die sehr viel mehr Menschen untersucht werden als bei allen anderen Medikamentenstudien. Ich selbst habe in meiner Laufbahn noch keinen Masern-Impfschaden beobachtet.
Wie und wann wird die Masern-Schutzimpfung verabreicht?
Prof. Pletz: Die Impfung – als Mehrfachimpfung gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) – besteht aus zwei Teilimpfungen. Die erste wird ab dem ersten Lebensjahr verabreicht, ab vier Wochen danach kann die zweite Teilimpfung folgen. In der Regel ist das Teil der Vorsorgeuntersuchungen durch die Kinderärzte. Wird die zweite Impfung versäumt, kann man sie auch noch im Erwachsenenalter nachholen. Ich empfehle das dringend.
Was halten Sie von „Masernpartys“, bei denen gegen Impfungen eingestellte Eltern an Masern erkrankte mit gesunden Kindern zusammenbringen, damit diese sich anstecken und so lebenslang immunisiert werden?
Prof. Pletz: Für mich ist es eine an Körperverletzung grenzende grobe Fahrlässigkeit, ein Kind wissentlich einer potenziell tödlichen Krankheit auszusetzen. Abgesehen davon, dass die Masern ja nicht auf einen engen Kreis begrenzt bleiben, sondern sich rasend schnell verbreiten.
Die größten Masern-Impflücken soll es nicht bei Kindern, sondern bei jungen Erwachsenen geben – für die es keine Impfpflicht gibt. Ist das nicht ein Defizit der neuen Regelung?
Prof. Pletz: Die Regelung betrifft zumindest in zwei größeren Bereichen auch Erwachsene, im Gesundheitswesen und in Schulen und Kindergärten. Wer hier arbeitet und ab 1970 geboren wurde, muss einen Impfnachweis erbringen. In anderen Bereichen wäre das aus meiner Sicht auch sinnvoll, das ließe sich ja zum Beispiel bei Job-Bewerbern über Einstellungsuntersuchungen beim Betriebsarzt regeln.