Friedhelm G. stürzte 2017 von einer Leiter circa sechs Meter in die Tiefe und erlitt ein Polytrauma (lebensbedrohliche Mehrfachverletzung) mit traumatisch bedingtem Hirnödem und intrazerebraler Blutung (schwere Hirnblutung). Der damals 59-Jährige war sofort bewusstlos und musste von der eintreffenden Notärztin intubiert werden (einen Beatmungsschlauch gelegt bekommen). Mit dem Hubschrauber wurde er in das Universitätsklinikum Jena geflogen und auf die Intensivstation aufgenommen, wo Friedhelm G. zunächst zum Schutz seines Gehirns tief sediert (in eine tiefe Narkose versetzt) wurde. Nachdem er den akuten Zustand und mehrere Operationen überstanden hatte, wurde mit einem Aufwachversuch begonnen. Elf Tage nach dem Unfall öffnete Friedhelm G. zum ersten Mal die Augen, war aber bis zum Tag seiner Verlegung nicht kontaktierbar. Nach mehreren Monaten Rehabilitation, in denen er das Laufen und Sprechen neu lernte, kehrte Friedhelm G. nach Hause zurück. Zwei Jahre nach dem Unfall arbeitet Friedhelm G. weiterhin täglich, teilweise mit Unterstützung der Physiotherapie, an seiner Bewegungsfähigkeit, Ausdauer und Kraft, ebenso wie an seinen kognitiven Fähigkeiten. Seine eigene Strategie, um nichts Wichtiges zu vergessen, sind Notizzettel, die er jeden Tag anfertigt. Er hat viele Pläne für seine Zukunft. Unter anderem möchte er wieder in seiner Werkstatt und auch in seinem Beruf als Pädagoge arbeiten.
Das Leben nach der Intensivstation
Der Genesungsweg nach intensivmedizinischer Behandlung ist oft lang. Im Verlauf der Behandlung ist häufig noch nicht absehbar welche Lebensqualität Patienten wiedererlangen können.
Wir legen auf Wunsch ein Intensivtagebuch an, das v.a. von den Angehörigen gestaltet, aber auch durch das Behandlungsteam. Durch diese Einträge und nachfolgende Gespräche mit ehemaligen Patienten und Angehörigen, konnten wir die nachfolgenden Beispiele sammeln, die zeigen, wie individuell die Genesungswege der Patienten sind.
Friedhelm G.
„Ihr Intensivtagebuch wurde in unserer Familie sehr begrüßt und damals auch intensiv geführt. Nicht nur meine Frau hat geschrieben, sondern auch jedes unserer Kinder.“
„Für unsere Familienmitglieder war es in der Zeit der Intensivstation eine große Hilfe, alles Erlebte und die Sorgen zu formulieren und somit auch ablegen zu können. Jeder nahm es ernst und sie freuten sich, dass auch eine Schwester der Intensivstation hineingeschrieben hatte.“
Meine Frau sagte: „Das Buch wird auf weite Sicht wertvoll sein, uns immer wieder zu erinnern, dass unser Leben nicht selbstverständlich ist, bzw. dass es sich innerhalb einer Sekunde gewaltig ändern kann. Wir sind dankbar für jeden Tag, am dem ein neuer Genesungsschritt errungen werden konnte und kann.“
„ … ich selbst war und bin noch nicht so weit, darin schon lesen zu können. Ich hatte keinerlei Interesse, zurück zu schauen. Und ich habe es bis heute kaum. Es war so furchtbar, was passiert war, und ich wollte vermeiden, dass ich mich möglicherweise verhake in Fragen wie z.B.: Was wäre gewesen, wenn … usw. Die Vergangenheit ist nicht mehr zu ändern! … Aber ich bin sicher, dass die Zeit kommen wird, wo ich mit größtem Interesse darin lesen und sehr dankbar sein werde, dass es existiert!“
Jens H.
Jens H. erlitt 2018 einen Herzinfarkt mit kardiogenem Schock, der eine Reanimation und die Unterstützung seiner stark eingeschränkten Herzfunktion durch eine ECMO (Herz-Lungen-Maschine) erforderlich machte. Da das Herz des damals 65-Jährigen ohne ECMO den Körper nicht versorgen konnte, wurde dem Patienten zur Unterstützung ein LVAD (Kunstherz) implantiert. Aufgrund einer Pneumonie (Lungenentzündung) musste Jens H. lange Zeit beatmet und schließlich tracheotomiert (mit einem Luftröhrenschnitt versorgt) werden. Nach insgesamt 69 Behandlungstagen auf der Intensivstation konnte er seine Rehabilitation beginnen. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits mit Unterstützung der Physiotherapie bis in den Stand mobilisiert, konnte selbstständig Luft holen und mit dem Sprechaufsatz kommunizieren. Insgesamt vier Monate nach dem kardiogenen Schock kehrte Jens H. nach Hause zurück, wo er selbstständig lebt und durch das LVAD unterstützt wird. Er ist Buchverleger und widmet sich nach überstandener Erkrankung langsam wieder seinen Buchprojekten.
„Das Tagebuch liegt gut sichtbar in meinem „Büro“ … Ich habe es während des Krankenhausaufenthaltes nicht gelesen, war aber nach der Reha dankbar, es zu besitzen. Es sind Aufzeichnungen, die mich sofort authentisch in die damalige Situation zurückversetzen. Danke!“
Yvonne W.
Yvonne W. erlitt 2013 einen Reitunfall und war bereits an der Unfallstelle bewusstlos. Der Notarzt musste die zu dem Zeitpunkt 17-jährige Patientin umgehend intubieren (einen Beatmungsschlauch legen) und sie künstlich beatmen. In der Diagnostik wurde ein schweres Schädel-Hirn-Trauma festgestellt. Eine externe Ventrikeldrainage (EVD) wurde angelegt, um den Hirndruck zu messen und bei Bedarf zu senken. Bei einer bildgebenden Kontrolluntersuchung (cCT) wurde ein bihemisphärisches Hirnödem, eine Subarachnoidalblutung und ein Subduralhämatom mit Mittellinienverlagerung (eine große Hirnblutung) festgestellt, so dass eine Entlastungskraniektomie (Entfernung eines Teils des Schädeldeckels) durchgeführt wurde. Nach zwei Wochen Analgosedierung wurden die Medikamente, die Yvonne W. tief schlafen ließen, langsam reduziert. Am 20. Tag öffnete sie auf Ansprache die Augen. In den folgenden Monaten der Rehabilitation lernte Yvonne W. wieder zu sprechen, zu laufen und mit den kognitiven Folgen ihres Schädel-Hirn-Traumas umzugehen. Sechs Jahre später lebt Yvonne W. zu Hause bei ihren Eltern. Regelmäßig geht sie zum therapeutischen Reiten. Sie hat sich außerdem einen großen Traum erfüllt, den Führerschein gemacht und fährt selbstständig Auto.
„Das Patiententagebuch selbst habe ich erst lange Zeit nach dem Unfall gelesen. Ich musste erst bereit sein dafür, es war emotional sehr bewegend für mich zu lesen, wie hilflos ich damals war, wie schlecht mein gesundheitlicher Zustand gewesen ist. Auf der anderen Seite konnte ich so nachvollziehen, wer in dieser Zeitspanne bei mir war, wer sich um mich gekümmert und geholfen hat. Für meine Eltern, besonders für meine Mama, ist das Patiententagebuch, denke ich, auch eine Hilfe gewesen, diese erste schlimme Zeit zu verarbeiten. Sie ist dabei, all Ereignisse, die Fortschritte, die Emotionen dieser langen Zeitspanne meiner Rehabilitation bis heute aufzuschreiben.“
Yvonne W..
Yvonne W. wurde 2016 mit einer Subarachnoidalblutung (Hirnblutung) auf die Intensivstation aufgenommen. In einer cCT-Untersuchung, die das Ausmaß der Blutung zeigte, stellten die Ärzte auch eine Mittellinienverlagerung sowie ein massives Hirnödem (Hirnschwellung) mit drohender unterer Einklemmung fest. Daher wurde operativ die Einlage einer externen Ventrikeldrainage (EVD, zur Druckentlastung des Gehirns), ein Aneurysma-Clipping (Verschluss der Gefäßerweiterung) und eine Kraniektomie (Entfernung eines Teils des Schädeldeckels) durchgeführt. Im Verlauf traten zerebrale Vasospasmen (krampfartige Verengungen der Adern im Gehirn) auf, weswegen eine Spasmolyse (Entkrampfung der Gefäße) durchgeführt werden musste. Zudem erlitt Yvonne W., damals 40 Jahre alt, wegen einer Pneumonie (Lungenentzündung) einen septischen Schock. Insgesamt 14 Tage nach ihrer Aufnahme auf die Intensivstation wurden die sedierenden Medikamente, die Yvonne W. tief schlafen ließen, langsam reduziert. Da ein längerer Aufwachprozess zu erwarten war, wurde eine Tracheotomie (Luftröhrenschnitt) durchgeführt. Nach 29 Tagen auf der Intensivstation wurde Yvonne W. in die Rehabilitationsklinik verlegt. Zu diesem Zeitpunkt atmete sie bereits die meiste Zeit selbstständig und öffnete die Augen auf Ansprache. Während der Rehabilitation lernte sie wieder zu laufen, zu sprechen und mit den kognitiven Folgen der schweren Hirnblutung umzugehen. Drei Jahre nach dem Ereignis lebt Yvonne W. mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern zu Hause und hat mithilfe ihrer Physio- und Ergotherapeuten bereits viele Schritte zurück in die Selbstständigkeit geschafft, wie z.B. das eigenständige Treppensteigen. Obwohl sie noch nicht arbeiten kann, ist sie nach wie vor Teil ihres beruflichen Teams.
„Für mich ist das Tagebuch eine wirklich tolle Idee. Es lässt mich die Zeit, die ich nicht bei meiner Familie sein konnte, nachvollziehen. Sehr interessant finde ich die Einträge des Pflegepersonals. Am liebsten würde ich mich bei jedem persönlich bedanken. Das Tagebuch liegt immer griffbereit im Wohnzimmer. Ich lese regelmäßig darin um meine Fragen beantwortet zu bekommen.“
Marco G.
Bei Marko G. wurde 2017 ein GIST des distalen Ösophagus (Weichteiltumor der Speiseröhre) festgestellt, der mit einer thorakoabdominellen Ösophagusresektion (operative Entfernung der Speiseröhre) mit Magenhochzug behandelt wurde. Nach einigen Tagen zeigte sich eine Anastomoseninsuffizienz (undichte Stelle an der Naht der operierten Speiseröhre), die eine Platzierung eines gecoverten Stents (einer Stütze zur Überbrückung der undichten Stelle) erforderlich machte. Marko G., damals 45 Jahre alt, erlitt im weiteren Verlauf aufgrund einer schweren Infektion einen septischen Schock mit ARDS (Atemnotsyndrom) und Multiorganversagen, wodurch künstliche Beatmung und Dialyse notwendig wurden. Nach ungefähr 30 Tagen intensivmedizinischer Behandlung wurde er zunehmend wacher. Die endoskopische Kontrolle zeigte einen sich langsam bessernden Befund der Anastomoseninsuffizienz mit Verkleinerung der Leckageöffnung bei gut einliegendem Stent. Marko G. überstand den septischen Schock und konnte nach insgesamt 46 Tagen intensivmedizinischer Behandlung – mittlerweile selbstständig atmend und nicht mehr dialysepflichtig – in eine Rehabilitationsklinik verlegt werden. Zu diesem Zeitpunkt lief er bereits wieder wenige Schritte und hatte langsam begonnen, Nahrung zu sich zu nehmen. Zwei Jahre später lebt Marko G. selbstständig zu Hause mit seiner Frau und geht wieder seinem Hobby, dem Motorradfahren, nach. Stundenweise unterstützt er seine Arbeitskollegen als Fahrer.
„Das Intensivtagebuch ist sehr wichtig für uns. Dass manche Pfleger und Ärzte da rein geschrieben haben ist gut für mich, manche Sachen zu verstehen und wie es um mich stand. Das Tagebuch liegt immer in greifbarer Nähe im Wohnzimmerschrank.“
Pascal J.-M.
Pascal J.-M. wurde 2018 aufgrund einer Steatohepatitis, einer schweren Erkrankung der Leber, in das Universitätsklinikum Jena verlegt. Bei Aufnahme hatte der damals 26-Jährige einen Ikterus (Gelbfärbung der Haut), litt unter einer hepatischen Enzephalopathie mit Beeinträchtigung der kognitiven und motorischen Fähigkeiten und einem hepatorenalen Syndrom (Nierenversagen bedingt durch die Lebererkrankung) mit Dialysepflichtigkeit. Ein hinzukommendes hepatopulmonales Syndrom mit Oxygenierungsstörungen und pneumonischen Infiltraten führte dazu, dass Pascal J.-M. beatmet werden musste. Ein langer Prozess des Aufwachens mit Somnolenz und Verwirrtheit, also langen Phasen in denen Pascal J.-M. nicht richtig wach war, machte schließlich eine Tracheotomie (Luftröhrenschnitt) erforderlich. Als sich sein körperlicher Zustand etwas stabilisiert hatte, fiel der Beschluss zur Listung für eine Lebertransplantation bei fortbestehender schwerer Steatohepatitis. Im April 2018 wurde Pascal J.-M. eine Leber transplantiert. Bereits neun Tage später konnte er wieder allein Luft holen und mit Hilfe an der Bettkante sitzen. Nach insgesamt 65 Tagen intensivmedizinischer Behandlung und wenigen Wochen Rehabilitation kehrte Pascal J.-M. wieder nach Hause zurück. Ein Jahr darauf lebt er mit seiner Freundin zusammen und plant sein Studium zeitnah fortzusetzen.
„Ich habe einmal darin gelesen, dann noch ein zweites Mal und dann wollte ich die Sache für mich abhaken. Meine Eltern und meine Freundin haben öfter darin gelesen.“
„Das Tagebuch ist eine sehr gute Idee, weil man eben in einer Scheinwelt ist und dort kann man nachlesen und das chronologisieren.“
„Das Tagebuch steht in meinem Bücherregal und davor steht ein Schutzengel, den mir meine Freundin geschenkt hat.“
Unterstützung nach der Intensivstation
Wenn nach Ihrer intensivmedizinischen Behandlung körperliche, kognitive oder psychische Beschwerden bestehen bleiben ist Ihr Hausarzt ein wichtiger Ansprechpartner.
Weiterhin können Sie auch auf folgenden Webseiten hilfreiche Informationen zu Unterstützungsangeboten finden:
- Selbsthilfegruppen: selbsthilfe-thueringen.de
- Deutsche Sepsis Hilfe: sepsis-hilfe.org
- Deutsche Hirnstiftung: hirnstiftung.org
- Deutsche Herzstiftung e.V.: herzstiftung.de
- BDO – Bundesverband der Organtransplantierten e. V. – Gemeinnütziger Selbsthilfeverband für Transplantationsbetroffene:
bdo-ev.de - Gesellschaft für Neuropsychologie: gnp.de/behandlerliste
- Informationen für Angehörige von Patienten mit Rest-Delir
Versterben eines Angehörigen auf der Intensivstation
Trotz bestmöglicher intensivmedizinischer Versorgung überleben nicht alle Patienten ihre kritische Erkrankung. Angehörige sehen sich nicht nur ihrer Trauer, sondern auch häufig vielen offenen Fragen gegenüber.
Unterstützungsangebote in der Trauer
Sie dürfen sich auch nach dem Versterben Ihres Angehörigen an die Psychologinnen der operativen Intensivstationen des Universitätsklinikums Jena wenden.
Hospizdienste
Auch Hospizdienste unterstützen Menschen bei der Trauerbewältigung. Wie eine Trauerbegleitung konkret aussieht, wird individuell vereinbart. Die Mitarbeiter machen z.B. Hausbesuche. Es gibt außerdem meist die Möglichkeit, sich mit anderen Menschen bei Trauercafès auszutauschen.
Hospizdienste in Ihrer Umgebung finden sie auf wegweiser-hospiz-palliativmedizin.de