Evaluierung der Effektivität von Rückenschulprogrammen auf muskulärphysiologische Parameter in Wechselwirkung mit psychosozialen und schmerzbezogenen Variablen
Projektzeitraum: 01.10.2009 bis 31.3.2012
Projektleitung: Prof. Dr. phil. B. Strauß, Prof. Dr. med. H.-Ch. Scholle
Projektpartner: Prof. Dr. med. H.-Ch. Scholle, Prof. Dr. phil. B. Strauß, PD Dr. med. Ch. Anders, Dr. phil. S. Nodop, Dipl.-Psych. C. Borys, Dr. phil. R. Tutzschke, Dr. paed. O. Rößler
Fragestellung: Vor dem Hintergrund aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse zur Entstehung und Aufrechterhaltung von Rückenschmerzen wurde die Rückenschule basierend auf einem bio-psycho-sozialen Verständnis neu konzipiert. Die Kernziele dieser „Neuen Rückenschule“ sind die Stärkung sowohl physischer als auch psychosozialer Gesundheitsressourcen und die Verminderung von Risikofaktoren für Rückenschmerz.
Ziel der vorliegenden Studie war die Überprüfung der kurz- und langfristigen Wirksamkeit dieser neuen sekundär-präventiven Rückenschule im Hinblick auf muskulär-physiologische, schmerzbezogene und psychosoziale Parameter.
Methoden: In einer kontrollierten Verlaufsstudie nahmen initial 88 Personen mit Rückenschmerzen in den letzten 12 Monaten an der ‚Neuen Rückenschule’ teil (zwölf 90-minütige Einheiten, ca. 10 Teilnehmer pro Gruppe). Innerhalb eines modifizierten Wartedesigns wurden die Probanden 3 Monate vor Beginn der Rückenschule, zu Rückenschulbeginn, Rückenschulende sowie 12 Monate nach Abschluss der Rückenschule untersucht. Erfasst wurden schmerzbezogene, psychosoziale und muskulär-physiologische Variablen. Die Erfassung der schmerzbezogenen und psychosozialen Variablen erfolgte über standardisierte Selbstauskunftsbögen. Muskulär-physiologische Merkmale der Rumpfmuskulatur während dynamischer und statischer Testsituationen wurden mittels Oberflächenelektromyographie (OEMG) erfasst.
Zur Operationalisierung des Interventionserfolges wurden eine verringerte Funktionsbeeinträchtigung, geringere Schmerzintensität, verringertes Angst-Vermeidungsverhalten, Verringerung passiver Bewältigungsstrategien, gesteigerte internale krankheitsbezogene Kontrollüberzeugungen sowie eine verbesserte Lebensqualität definiert.
Hinsichtlich der physiologischen Maße wurde durch die Teilnahme an der Rückenschule eine Annäherung an die Normwerte einer einmalig untersuchten, nach Alter und Body-Mass-Index (BMI) parallelisierten gesunden Kontrollgruppe erwartet.
Als Einflussvariablen auf den Interventionserfolg wurden die Teilnahmemotivation, die berufliche und soziale Situation sowie Angst, Depressivität und Somatisierung eingeschlossen.
Ergebnisse: In die Analyse eingeschlossen wurden aufgrund fehlender Werte 61 Probanden im kurz- und 49 Probanden im langfristigen Verlauf. Es zeigten sich für die schmerzbezogenen und psychosozialen Merkmale niedrige bis mittlere Effekte. Hohe Effekte konnten katamnestisch für die Schmerzreduktion nachgewiesen werden.
Die Höhe des Depressivitätsscores (Hospital Anxiety and Depression Scale) zu Beginn der Rückenschule erwies sich als Prädiktor für den Interventionserfolg einer mindestens 30%igen Schmerzreduktion (Odds Ratio: 1,60; 95%-Konfidenzintervall: 1,092,3; β=0,469; p=0,017). Die Ausprägung passiver Coping-Strategien (Coping Strategies Questionnaire) war Erfolgsprädiktor im Bereich funktioneller Verbesserungen (Odds Ratio: 1,19; 95%-Konfidenzintervall: 1,031,38; β=0,177; p=0,018).
Hinsichtlich der muskulär-physiologischen Merkmale zeigten die Probanden vor der Teilnahme an der Neuen Rückenschule im Vergleich zur Kontrollgruppe in 18% aller durchgeführten Berechnungen für die statischen sowie in 6% für die dynamischen Testsituationen, signifikante Differenzen. Dabei zeigte bei den Rumpfmuskeln der M. multifidus am häufigsten signifikante Abweichungen von den Normwerten (Statik: 29%; Dynamik: 7%).
Direkt nach Abschluss der Rückenschule ergaben die Berechnungen zu den Gruppenunterschieden keine relevanten Veränderungen in der Anzahl signifikanter Ergebnisse. Jedoch konnte zum 1-jährigen Katamnesezeitpunkt eine Reduktion in der Häufigkeit der nachweisbaren Unterschiede zur Kontrollgruppe um ein Drittel auf nur noch 12% aller Berechnungen mit statischen Belastungen nachgewiesen werden.
Schlussfolgerungen: Die Neue Rückenschule erwies sich als wirksames Verfahren im Präventionssetting zur kurz- und langfristigen Reduktion schmerzbedingter Belastungen und schmerzpsychologischer Aspekte.
Die muskulär-physiologischen Anpassungseffekte zum 1-jährigen Katamnesezeitpunkt deuten auf eine verzögert eintretende positive Einflussnahme der Neuen Rückenschule auf muskulär-physiologische Parameter hin.
Kontakt:
Publikationen
Borys C., Nodop S., Anders C., Tutzschke R., Scholle HC., Strauß B. (2013). Evaluation der Neuen Rückenschule. Schmerz- und psychologische Merkmale. Schmerz, 27(6):588-596.
Tutzschke R., Anders C., Borys C., Nodop S., Strauß B., Scholle H. C. (2014). Evaluation der „Neuen Rückenschule“: Muskulärphysiologische Merkmale. Schmerz, 28(2):166-174.