Achtsamkeit, eine wirksame Mode
Die Jenaer Professorin Veronika Engert gibt eine kleine Einführung in das Stressbewältigungstraining
- Thüringische Landeszeitung (Gera)
- 20 Apr 2024
- Ulrike Merkel
Originalbeitrag: Achtsamkeit, eine wirksame Mode (thueringer-allgemeine.de)
Schon kleine Übungen wie Atemmeditationen können Stress, aber auch Entzündungsreaktionen im Körper reduzieren.
Jena. Wenn es um psychische Gesundheit geht, fällt immer wieder der Begriff Achtsamkeit. Doch was verbirgt sich dahinter? Veronika Engert, Professorin am Institut für psychosoziale Medizin und Psychotherapie des Universitätsklinikums Jena, gibt hier eine kleine Einführung in diesen nachweislich wirksamen Trend.
Was meint der Begriff Achtsamkeit?
„Das Konzept der Achtsamkeit basiert auf der buddhistischen Meditationstradition, wobei es in der Art und Weise, wie wir es hier nutzen, auf religiöse Inhalte verzichtet“, sagt Veronika Engert. Der US-Amerikaner Jon Kabat-Zinn entwickelte Ende der 1970er, Anfang der 1980er-Jahre die moderne Achtsamkeitspraxis. Dabei geht es darum, den aktuellen Moment bewusst und bewertungsfrei wahrzunehmen. Die eigene Aufmerksamkeit wird auf das Jetzt gerichtet. Das heißt, man betrachtet die gegenwärtigen Gefühle, Gedanken, aber auch die Umgebung, ohne zu urteilen, ohne zu bewerten. „Es geht um einen akzeptierenden Zustand“, sagt die Professorin für soziale Neurowissenschaften.
Zwei Achtsamkeitsübungen für zu Hause
- Body-Scan
Dabei wird gedanklich durch den Körper gereist – von unten nach oben oder auch umgekehrt. „Man fühlt sich in seine Füße, in seine Beine, seine Knie und konzentriert sich auf die Empfindungen im jeweiligen Körperteil“, erklärt Veronika Engert. Der achtsame Mensch erfährt dabei aktiv den eigenen Körper. Er nimmt Gedanken wie „Mist, jetzt schmerzt das Knie schon wieder“ wahr, geht aber nicht auf sie ein, sondern lässt sie – möglichst bewertungsfrei – vorbeiziehen.
- Atemmeditation
Bei der Atemmeditation wird die Aufmerksamkeit einfach nur auf den eigenen Atem gelenkt. Wenn die Gedanken beginnen zu wandern, etwa zur heutigen To-do-Liste, lässt man sie gehen und kehrt gedanklich zur Atmung zurück. So wird das sogenannte Mind-Wandering unterbrochen, dieser ständige Fluss an Gedanken und Beurteilungen. Neben dem Trainieren des eigenen Fokus ist es laut Engert auch wichtig, sich in Akzeptanz zu üben.
Selbst wenn etwa der Streit mit dem Partner als wahnsinnig schlimm oder gar unüberwindbar empfunden werde, sollte man sich sagen: „Okay, das ist jetzt zwar gerade so“, erläutert die Psychologin, „aber Gedanken und Gefühle sind immer nur punktuell wahr und ändern sich.“
Wie lange werden Achtsamkeitsübungen praktiziert?
„Viele Achtsamkeitskurse laufen über acht Wochen“, sagt Veronika Engert. Sie empfiehlt jedoch Achtsamkeitsübungen deutlich länger zu praktizieren. Ihre Arbeit zeigt, dass Trainingsprogramme, die auf drei bis neun Monate angelegt waren, für die Gesundheit förderlich sind: Wer regelmäßig übt, reduziert demnach zunehmend sowohl die eigene Stressbelastung als auch Entzündungsreaktionen im Körper. Dabei machten die Teilnehmer circa fünf Tage die Woche 20 Minuten Achtsamkeits-basierte Übungen. „Man sollte aber aufpassen, dass man sich nicht stresst bei dem Versuch sich zu entstressen“, betont die Expertin. Wer etwa abends vor dem Einschlafen Achtsamkeit praktiziere, dürfe auch getrost dabei einschlafen. Außerdem gebe es auch andere Möglichkeiten, sich zu entstressen, etwa Sport.
„Ganz ohne Anleitung sollten Interessierte jedoch nicht loslegen“, sagt Engert. Sie empfiehlt entweder den Gang zu Trainern oder aber auch sich selbst zuvor zu belesen, möglicherweise auch über das Internet vorzubilden. Im Netz gebe es auch unterschiedlichste Audio-Anleitungen. Wer Englisch verstehe, könne sich etwa Jon Kabat-Zinn im Original anhören.
Was passiert im Körper?
Stress fördert die Bildung von Stress-Neurotransmittern und -Hormonen, die langfristig Entzündungsprozesse auslösen können. Über Achtsamkeitsübungen können diese negativen Stoffe reduziert werden, was positive Effekte auf das Immunsystem hat. „Wir aktivieren so gesunde Immunprozesse und hemmen entzündliche Prozesse“, erklärt Veronika Engert. Aufgrund der nachgewiesenen Wirksamkeit werden Achtsamkeitstrainings heute auch klinisch eingesetzt, etwa zur Behandlung mentaler Störungen wie Depressionen, aber auch bei körperlichen Erkrankungen wie Krebs.