Früh- und Neugeborene mit neurologischen Erkrankungen
Bei einigen Kindern kann die zu frühe Geburt, Fehlbildungen oder Schädigungen des Nervensystems zu einer Beeinträchtigung der weiteren Entwicklung führen. Das Ziel der ambulanten Nachbetreuung von Frühgeborenen/Neugeborenen ist, diese Beeinträchtigungen rechtzeitig zu erkennen und notwendige Maßnahmen zur Entwicklungsunterstützung zu veranlassen.
Spezielle Erkrankungen von Neugeborenen mit neurologischen Problemen
Asphyxie: Sauerstoffmangel bei Neugeborenen, der vor, während oder nach der Geburt auftritt. Durch den Sauerstoffmangel und dadurch bedingte Ausschüttung bestimmter Hormone und Entzündungsmediatoren können Gewebe und die Organe insbesondere das Gehirn geschädigt werden. Unter Umständen können körperliche und geistige Entwicklungsverzögerungen als Folgen bestehen bleiben.
Schlaganfall: Eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen des Gehirns beim Neugeborenen mit mangelnder Blutversorgung von Hirnbereichen durch Gerinnsel, Blutung oder Gefäßentzündungen. Dies ist die häufigste Ursache für schwerwiegende neurologische Defizite wie die Zerebralparese, die Epilepsie, eine geistige Behinderung etc.
Fehlbildungen: Angeborenen Fehl- oder Missbildung entstehen durch Anlagefehler während der Schwangerschaft von Organen oder Körperteilen. Diese können je nach Ausmaß die Lebensfähigkeit beeinträchtigen, zu Funktionsstörungen führen oder starke kosmetische Auswirkungen haben. Gibt es mehr als 2-3 solcher Auffälligkeiten, kann dies ein Hinweis auf eine Entwicklungsstörung bzw. auf größere Anomalien sein. Bei einer bestimmten Kombination verschiedener kleiner und großer Fehlbildungen spricht man von einem Fehlbildungssyndrom. Diese können Probleme sowohl in der motorischen als auch der sprachlichen und geistigen Entwicklung bedingen. Ein Beispiel ist die Spina bifida (Neuralrohrdefekt, „offener Rücken“).
Syndrome: Genetisch bedingte Erkrankungen, welche mit einer verzögerten körperlichen und geistigen Entwicklung des Kindes einhergehen. Ein Beispiel wäre das Down-Syndrom, auch Trisomie 21 genannt.
Frühgeborene
- Was ist ein Frühgeborenes?
Eine physiologische Schwangerschaft dauert 40 Wochen. Kommt ein Kind vor der vollendeten 37. Schwangerschaftswoche (SSW) zur Welt, ist es ein Frühgeborenes. In Deutschland werden 10% der Kinder zu früh geboren. Jedes Jahr werden in Deutschland rund 63.000 Kinder vor der 37. Schwangerschaftswoche (SSW) geboren.
späte Frühgeborene 34. und 36. SSW
moderat unreife Frühgeborene 28. und 34. SSW
extrem unreife Frühgeborene <28. SSW
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Welche Erkrankungen können auftreten?
In den letzten Jahren wurden große Fortschritte in der Versorgung von Frühgeborenen erzielt. Dadurch überleben jetzt aber auch sehr frühe Frühgeborene. Obwohl sich Prognose der späten Frühgeborenen deutlich verbessert hat, nimmt die Zahl der Kinder, die durch die Frühgeburtlichkeit beeinträchtigt sind, daher nicht ab. Folgende sogenannte „3-Buchstaben-Erkrankungen“ können auch langfristig einen Einfluss auf die Entwicklung haben:
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IVH (Intraventrikuläre Hirnblutung): Blutung im Randbereich zwischen Gehirn und innerem Nervenwasserraum unterschiedlicher Ausprägung durch die Unreife bei Frühgeborenen.
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- PVL (periventrikuläre Leukomalazie): Schädigung des Gehirns beim Neugeborenen/Frühgeborenen im Bereich der weißen Substanz um die Hirnwasserräume. Ursache ist eine mangelnde Blut- oder Sauerstoffversorgung in der Schwangerschaft oder eine Infektion.
- BPD (bronchopulmonale Dysplasie): Chronische Lungenerkrankung des Neugeborenen, die insbesondere nach längerer Beatmung mit hohem Sauerstoffbedarfs bei sehr frühen Frühgeborenen auftritt.
- NEC (nekrotisierende Enterocolitis): Häufigste, lebensbedrohliche Erkrankung des Darmes von Früh- und Neugeborenen. Durch eine Entzündung eines oder mehrerer Darmabschnitte kann es zu Nekrosen (Absterben von Darmabschnitten) kommen.
- FIP (fokale intestinale Perforation): An einer Stelle auftretendes Loch in der Darmwand.
- ROP (Retinopathie des Frühgeborenen): Netzhautschädigung bei Frühgeborenen durch eine gestörte Blutgefäßentwicklung der Netzhaut aufgrund der Unreife und weiteren Risikofaktoren wie z.B. Sauerstoffgabe.
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Neben diesen Erkrankungen und ihren möglichen bleibenden Folgen, hat per se die zu frühe Geburt eine entwicklungsbiologische Unreife aller Organsysteme zur Folge.
- Neurologische Probleme bei Frühgeborenen
Kinder mit einem Geburtsgewicht unter 1500g haben in mehr als der Hälfte der Fälle eine normale kognitive Entwicklung, aber ca. 20% sind schwerbehindert. Das Risiko erhöht sich je kleiner und unreifer das Kind bei Geburt ist.
Zwei Komplikationen, die Hirnblutungen und die periventrikuläre Leukomalazie, führen am häufigsten zu neurologischen Problemen.
Hirnblutung treten meist in den ersten Lebenstagen auf, wenn es den Kindern nicht gut geht. Bei
niedergradigen Hirnblutung (intraventrikulären Hämorrhagie I-II°) kommt es zu einer Blutung in die inneren mit Hirnwasser gefüllten Räume, den Ventrikeln. Dabei kann es zu einem gestörten Abfluss des Hirnwassers kommen, es bildet sich ein Hydrozephalus („Wasserkopf“). Bei einigen Kindern muss das Hirnwasser dann mit einem Schlauch in den Bauchraum abgeleitet werden. Viele dieser Kinder entwickeln sich aber trotzdem normal. Bei einer höhergradigen Hirnblutung (III° und III°) gelangt Blut auch in das Hirngewebe. Dadurch steigt das Risiko von motorischen Störungen deutlich an.
Bei einer periventrikulären Leukomalazie kommt es zu einer Schädigung des neben den Hirnkammern gelegenen Hirngewebes.
Die häufigste neurologische Schädigung, die bei Frühgeborenen zu finden ist, ist eine beinbetonte Spastik. Dabei ist die Muskelspannung erhöht und dies kann zu einem verminderten Bewegungsumfang, Kontrakturen, führen (infantile Cerebralparese).
Bei schwerwiegenden Schädigungen können auch kognitive Störungen auftreten, die zu einer Entwicklungsverzögerung, Schul- und Verhaltensproblemen führen können.
Ebenfalls nicht selten ist das Auftreten einer Epilepsie. Auch hier sind Kinder mit schwerwiegenden Hirnschäden häufiger betroffen.
- Nicht-neurologische Probleme von Frühgeborenen
Lunge/Atmung: Durch die Die Beatmung und Sauerstoffgabe kann es zur Entstehung einer chronischen Lungenerkrankung, der sogenannten bronchopulmonalen Dysplasie, kommen. Diese führt zu gehäuften Infekten der Atemwege und kann auch die Entwicklung eines Asthma bronchiale begünstigen. Probleme treten insbesondere unter Belastung wie beispielsweise körperlicher Aktivität oder Infekten auf. Diesbezüglich ist die Vorstellung in der pulmologischen Ambulanz ratsam. Bei Atemaussetzern, Schlafproblemen etc. steht auch unsere Schlafambulanz zur Verfügung.
Wachstum/Hormone: Zur Entlassung sind die Frühgeborenen häufig leichter und kleiner als Termingeborene. Die weitere Gewichtsentwicklung ist entscheidend. Kinder, welche mit 2 Jahren das Gewicht aufgeholt hatten und über der 10. Perzentile lagen, haben deutlich bessere Ergebnisse in Entwicklungstestungen.
Bei geringer Körpergröße ist die Vorstellung in der endokrinologischen Ambulanz im Alter von 4 Jahren nach Rücksprache mit dem Kinderarzt sinnvoll.
Magen-Darmtrakt/Ernährung: Sollte die Nahrungsaufnahme bei Entlassung nicht vollständig oral möglich sein oder im Verlauf Probleme beim Schlucken auftreten, wird in Zusammenarbeit mit unserer Ernährungsberatung und Kindergastroenterologie über Nahrungsanpassung mit hochkalorischen Zusätzen oder Spezialnahrungen entschieden. Auch die Empfehlung bezüglich der Notwendigkeit einer Magensonde oder PEG (Perkutane endoskopische Gastrostomie) erfolgt interdisziplinär.
Sehen: Durch eine Retinopathie, die eine häufige Komplikation bei frühen Frühgeborenen darstellt, kann eine relevante Beeinträchtigung des Sehens vorliegen. Gegebenenfalls sind weitere Vorstellungen in der Sehschule nötig oder die Initiierung einer Seh-Frühförderung.
Betreuung der ehemaligen Frühgeborenen/Neugeborenen mit neurologischen Erkrankungen im SPZ
Entwicklung: Alle Frühgeborenen, bei denen ein Risiko für eine gestörte Entwicklung besteht, werden im korrigierten Alter von 2 Jahren mit Hilfe der Bayley-Entwicklungstestung durch unsere Psychologinnen nachuntersucht. Gibt es Entwicklungsauffälligkeiten, erfolgen weitere Untersuchungen in Absprache mit den SPZ Ärztinnen und es wird eine auf ihr Kind angepasste Förderung (ggf. spezielle sinnesspezifische Förderung) eingeleitet. Vor der Einschulung soll im Alter von 5 Jahren eine Leistungsüberprüfung wiederum bei unseren Psychologinnen stattfinden. Nur ca. 40% der Frühgeborenen können zeitgerecht eine reguläre Grundschule besuchen (>85% der Reifgeborenen). Teilweise benötigen sie Hilfe und Unterstützung (Schulbegleiter etc.) und haben einen sonderpädagogischen Förderbedarf. Auch eine mögliche Schulrückstellung kann diskutiert werden.
Auch bei Neugeborenen mit speziellen neurologischen Erkrankungen besteht ein erhöhtes Risiko für eine gestörte Entwicklung, welche mit einer speziellen Förderung ähnlicher der bei ehemaligen Frühgeborenen unterstützt werden muss.
Motorik: Je nach Art der Erkrankung bzw. nach Schwangerschaftswoche, Geburtsgewicht und Komplikationen können die Kinder eine muskuläre Schwäche, Bewegungsstörungen oder eine Cerebralparese entwickeln. Auch die Feinmotorik kann maßgeblich beeinträchtigt sein. Dies wird unteranderem durch unsere Ergo- und Physiotherapeutinnen mitbeurteilt und ggf. eine interdisziplinäre neuropädiatrische und kinderorthopädische Vorstellung geplant. Die Verordnung von Physio- und Ergotherapie sowie die Anpassung und Verordnung von Hilfsmitteln und die Durchführung einer Therapie mit Botulinumtoxin Injektionen bei Spastik wird im SPZ gesteuert.
Bei Mundmotorik-Problemen insbesondere dem Schlucken erfolgt die Beurteilung durch unsere Logopädie.
Sprache: Auch bei Sprachentwicklungsproblemen kann eine Mitbeurteilung durch unsere Logopädin erfolgen und Hilfsmittel sowie Logopädie verordnet werden. Je nach Befund wird dabei auch die Hörfähigkeit überprüft.
Epilepsie: Im SPZ werden Epilepsien diagnostiziert und behandelt. Hier finden auch die Steuerung der Medikation und Überwachung von Wirkung und Nebenwirkungen statt.
Verhalten: Bei den Kindern besteht ein erhöhtes Risiko für ein Aufmerksamkeitsdefizit und/oder Hyperaktivität. Auch das Knüpfen von Freundschaften und Partnerschaften kann problematisch sein. Zudem treten etwas vermehrt psychiatrische Probleme auf. Bei Verhaltensproblemen wird zunächst ein Gespräch mit unseren Psychologinnen vereinbart. Hier kann dann eine entsprechende Diagnostik durchgeführt und die weitere Behandlung besprochen werden.
Psychische Unterstützung/Begleitung: Aufgrund der langen Liegedauer im Krankenhaus und der zu früh beendeten Schwangerschaft können ihrerseits Eltern-Kind-Bindungsproblematiken und Ängste auftreten. Diesbezüglich werden häufig schon weitere Schritte bzw. Hilfen im Rahmen der Behandlung auf der Neonatologie und Wochenstation initiiert. Dies ist bei Bedarf jedoch auch im Verlauf möglich. Bei vermehrtem Schreien könnte auch eine Vorstellung in unserer Schreiambulanz erfolgen.
Sozialdienst: Je nach Entwicklung und Komplikationen besteht bei ihrem Kind das Anrecht auf einen Pflegegrad und/oder einen Schwerbehindertenausweis und ggf. Rehabilitationsmaßnahme. Diesbezüglich wird sie unser Sozialdienst des SPZ in der Beantragung beraten und unterstützen.
SAPPV: Bei schwerbehinderten und beeinträchtigten Kindern steht auch unser ambulantes Kinderpalliativteam bei Krisensituationen, belastenden/leidvollen Symptomen wie Schmerzen oder Unruhe und zur Vermeidung von Krankenhausaufenthalten zur Verfügung.
Sinnvolle Links
- Elterngruppe „Kleine Wunder Jena“ UKJ https://www.uniklinikum-jena.de/kinderklinik/Patienten+_+Zuweiser/Informationen+f%C3%BCr+Eltern/Selbsthilfegruppen/Kleine+Wunder+Jena.html
- Bundesverband „Das Frühgeborene Kind e.V.“ (www.fruehgeborene.de)
- Frühförderstelle Jena (www.querwege.de)
- Herbert-Feuchte-Stiftung Jena (https://stiftungsverbund.de/ambulant/jena/)
- Wandlungswelten Jena (http://wandlungswelten.de/de/praxis/familienbande-staerken.html)
- Krisen rund um die Geburt (www.selbsthilfe-thueringen.de/selbsthilfegruppen-zum-thema.html?keywords=Krisen%20rund%20um%20die%20Geburt)
- Stiftung deutsche Schlaganfall Hilfe (www.schlaganfall-hilfe.de/de/fuer-betroffene/kinder-mit-schlaganfall/kinder-schlaganfall-hilfe)
- Arbeitskreis Down-Syndrom Deutschland e. V. (https://down-syndrom.org)
Ansprechpartnerin
Funktionsoberärztin,
Neuropädiatrie, SPZ