Zerebralparesen
Die Zerebralparese ist zusammenfassend gesagt eine bleibende, ab dem frühen Kindesalter bestehende Störung, die mit erheblichen Einschränkungen einhergeht. Ihre Behandlung erfordert eine individuell konzipierte Therapie, die unterschiedliche Fachgebiete miteinschließt.
Im Folgenden erfahren Sie, wie eine Zerebralparese entstehen kann, welche Symptome damit einhergehen und welche Behandlungsmaßnahmen zur Verfügung stehen.
Der Begriff Zerebralparese fasst frühkindliche Gehirnstörungen zusammen, die angeboren sind oder sich nach der Geburt entwickeln. Die Bezeichnung setzt sich aus den Fachtermini "cerebral" für "im Gehirn" und "Parese" für "Lähmung" zusammen. Die bleibende Störung hat langfristig negative Auswirkungen auf die Sensomotorik und den Bewegungsapparat der Betroffenen. Abhängig von der Lokalisation der geschädigten Gehirnareale können sich die Symptome einer Zerebralparese in unterschiedlicher Ausprägung manifestieren. Dabei können sowohl die Bewegungsfähigkeit als auch die Sprachfähigkeit, das Gehör, das Sehen oder das Denken beeinträchtigt sein.
Ursachen und Häufigkeit der infantilen Zerebralparesen
Schätzungen zufolge treten angeborene oder frühkindliche Gehirnstörungen bei ein bis drei von rund tausend Neugeborenen auf. In den letzten Jahrzehnten hat die Anzahl der Betroffenen zugenommen, da die medizinische Versorgung während und nach der Geburt die Überlebenschancen betroffener Babys deutlich verbessert hat. Auch der Anteil an Frühgeburten, die als wichtiger Risikofaktor für die Entwicklung einer infantilen Zerebralparese gelten, steigt seit einigen Jahrzehnten stetig an.
Eine Zerebralparese geht auf Gehirnschädigungen zurück, die entweder in der pränatalen Phase, während der Geburt oder in den ersten zwei bis vier Lebensjahren entstehen. Abhängig vom Zeitpunkt der Schädigung können verschiedene Ursachen einer Zerebralparese definiert werden. Im Mutterleib erworbene Fehlbildungen des Gehirns entstehen meist aufgrund genetischer Einflüsse oder durch exogene Faktoren. Erstere Ursachen sind auf Genmutationen oder Chromosomenanomalien zurückzuführen. Als exogene Faktoren, die eine Zerebralparese begünstigen, kommen virale oder bakterielle Infektionen, Strahlenbelastung oder ein ungesunder Lebensstil - wie etwa Alkohol- oder Drogenmissbrauch - der werdenden Mutter in Betracht. In der Spätschwangerschaft kann es auch vorkommen, dass die Gehirnschädigung durch Thrombosen oder Embolien verursacht wird. Sauerstoffmangel während der Geburt führt zu einer Zerstörung von Nervenzellen, die eine Zerebralparese bedingt. Nach der Geburt werden meist Gehirnhautentzündungen und vorübergehender Sauerstoffmangel in Folge eines Unfalls als Ursachen diagnostiziert. Es kann aber auch vorkommen, dass Kindesmisshandlung ein Schütteltrauma auslöst, als dessen Folge sich eine Zerebralparese entwickelt.
Hauptsymptome und Ausprägungen einer infantilen Zerebralparese
Einer Zerebralparese liegt grundsätzlich immer eine gestörte Entwicklung oder Schädigung des zentralen Nervensystems zugrunde. Diese manifestiert sich in erster Linie in einer verlangsamten Motorik, Störungen des Muskeltonus oder einer fehlerhaften Koordination von Bewegungsabläufen. Abhängig von den Symptomen unterscheiden Mediziner zwischen mehreren Formen der Zerebralparese, die häufig miteinander kombiniert auftreten. Bei erhöhtem Muskeltonus und damit verbundener Gliedersteifheit sprechen Ärzte von einer Spastik. Eine Ataxie äußert sich in abgehackten Bewegungen, Störungen von Gleichgewichtssinn und Koordination sowie Problemen, zielgerichtet zu gehen, zu greifen oder zu sehen. Auch Hör- und Sprachstörungen, durch unkontrollierte mimische Abläufe bedingtes Grimassieren sowie Verhaltensstörungen treten bei frühkindlichen Ataxien häufig auf. Bei der Athetose kommt es ebenfalls zu verkrampften, jedoch häufig langsameren unwillkürlichen Bewegungen. Die Betroffenen leiden zudem erheblich darunter, dass der Muskeltonus vom einem Moment zum anderen sekundenschnell von der Entspannung zum verkrampften Zustand wechseln kann.
Bei rund drei Viertel aller Fälle von Zerebralparese sind spastische Lähmungen zu beobachten, die abhängig von der Lokalisation des geschädigten Gewebes im Gehirn unterschiedliche Körperbereiche betreffen können. Auch in diesem Zusammenhang werden mehrere Ausprägungen der Zerebralparese unterschieden. Tritt die spastische Lähmung nur in einem Bein oder Arm auf, liegt eine sogenannte Monoplegie (Unilateral) vor. Bei Beteiligung beider Beine oder Arme sprechen Mediziner von einer Paraplegie (Bilateral). Spastische Lähmungen aller Gliedmaßen der rechten oder linken Körperhälfte werden als Hemiparese oder Halbseitenlähmung bezeichnet. Die Tetraparese äußerst sich in spastischen Lähmungen von Armen, Beinen, Rumpf, Hals und Kopf. Sind bei dieser Form der Störung die Beine stärker betroffen als die Arme, wird das Beschwerdebild als Diparese bezeichnet. Bei allen Formen können die Betroffenen zusätzlich unter gelegentlichen epileptischen Anfällen und Sinnesstörungen in Bezug auf das Körpergefühl, die Lageempfindung sowie das Sehen und Hören leiden. Auch vermehrte Speichelproduktion, chronische Obstipation sowie Schluck- und Kaubeschwerden sind als Begleitsymptome möglich.
Verlauf und typische Folgebeschwerden
Die spastischen Lähmungen verursachten ihrerseits verschiedene Beschwerden, die die Bewegungsfähigkeit zusätzlich einschränken. In diesem Zusammenhang sind insbesondere Gelenkversteifungen und Knochenverformungen, die zu Fehlhaltungen führen, bedeutend. Die Haltungsanomalien manifestieren sich in erster Linie in an den Rumpf gedrückten Armen mit einwärts gedrehten Ellenbogen. Charakteristisch für Menschen mit Zerebralparese sind zudem die häufig zu Fäusten geschlossenen Hände, wobei die Daumen eingeschlagen sind. Auch einwärts gedrehte Beine und angewinkelt gebeugte Hüften sowie eine verkrümmte Wirbelsäule sind bei spastischen Lähmungen häufig zu beobachten. Die Anomalien bedingen zudem Verkürzungen der Muskelfasern, die mit einem erheblichen Kraftverlust einhergehen können.
Möglichkeiten der Behandlung einer Zerebralparese
Die möglichst frühe Diagnose spielt in der erfolgreichen Therapie eine wichtige Rolle, um die körperliche und psychische Entwicklung bereits in der frühen Lebensphase positiv zu beeinflussen. In der Regel zeigen sich die ersten Anzeichen einer Zerebralparese bereits in einem Alter von etwa vier bis fünf Monaten, wenn das Baby die ersten Greifbewegungen unternimmt. Häufig wird die Störung allerdings erst dann festgestellt, wenn das Kleinkind zu stehen und zu gehen beginnt.
Um eine Zerebralparese zu behandeln, muss ein multidisziplinäres Therapiekonzept erstellt werden, das sich an der Ausprägung und Lokalisation der Beeinträchtigungen orientiert. Für das betroffene Kind ist es besonders wichtig, dass es von einem festen Therapeutenteam behandelt und mindestens die ganze Kindheit, oft auch das Jugend- und frühe Erwachsenenalter hindurch begleitet wird.
Da die Ursachen der Zerebralparese nicht beseitigt werden können, zielt die Behandlung immer darauf ab, die Funktion des Bewegungsapparats zu verbessern und mögliche Begleitsymptome wie Sprach- oder Schluckbeschwerden zu therapieren. Der Physiotherapie kommt in der Behandlung solcher Störungen eine besonders wichtige Rolle zu. Insbesondere das sogenannte Bobath-Konzept, das bei Kindern aller Altersgruppen zur Anwendung kommt, hat sich erfolgreich bewährt. Im Mittelpunkt der Bobath-Therapie steht die gezielte Förderung durch das Erreichen der offenen Kanäle des kleinen Patienten. Wenn ein Kind nicht spricht, sich dafür aber für Blickkontakt interessiert, wird der Therapeut auf Basis dieses offenen Kanals ein Therapiekonzept erstellen. Die Bobath-Therapie baut immer auf individuell konzipierten Übungen und Techniken auf, die die Motivation des Kindes in den Vordergrund stellen. Auch manuelle Therapien und das Verfahren nach Vojta, das durch die sogenannte Reflexlokomotion elementare Bewegungen mit den Patienten erarbeitet, sind in der Behandlung der Zerebralparese besonders erfolgreich. Außerdem wird die lokale Vibrationstherapie eingesetzt, bei der man im Rahmen der Therapiestunden in den unterschiedlichen Fachbereichen unterstützend das Vibrationstherapiegerät einsetzt. Unabhängig von der eingesetzten Methode spielt eine vertrauensvolle und intensive Beziehung zwischen den Therapeuten und ihren kleinen Patienten eine wesentliche Rolle.
Unterstützend zur Physiotherapie kommen abhängig von der Ausprägung der Störung auch logopädische und ergotherapeutische Methoden sowie orthopädische Maßnahmen zum Einsatz. Durch ein Zusammenspiel dieser Fachgebiete können die Betroffenen Sprach- und Essstörungen überwinden und bei Bedarf durch geeignete Hilfsmittel und medizinische Maßnahmen so weit beweglich bleiben, dass das Risiko für Muskelverkürzungen oder Knochenverformungen sinkt. Unterschiedliche Rehabilitations- und Sportprogramme sowie tiergestützte Therapiemaßnahmen sind für Kinder und Jugendliche mit Zerebralparese ebenfalls sehr gut geeignet. In vielen Fällen ist es notwendig, auch eine psychologische Betreuung der Patienten und ihrer Familienangehörigen einzuleiten. Um die Spastik positiv zu beeinflussen, können verschiedene Medikamente (u.a. Baclofen- und Botulinumtoxin-Therapie) oder lokale Vibrationstherapie (Vermittlung durch SPZ) zum Einsatz kommen, die den Muskeltonus herabsetzen. Erst wenn eine auf mehreren Säulen aufgebaute Therapie nicht den gewünschten Erfolg zeigt, können die behandelnden Ärzte einen operativen Eingriff in Erwägung ziehen. Vor allem chirurgische Sehnenverlängerungen, Muskeleinkerbungen und Knochenumstellungen können dazu beitragen, das Gleichgewicht der Muskulatur herzustellen. Im Rahmen einer Neurotomie erfolgt eine Durchtrennung von Nervenfasern, die die Spastik mindern kann. Da sie irreversibel ist, unterliegt diese operative Methode einer strengen ärztlichen Indikationsstellung.
AnsprechpartnerInnen
Oberärztin,
Neuropädiatrie, SPZ
Funktionsoberärztin,
Neuropädiatrie, SPZ
Sportwissenschaftler,
Ganglabor SPZ