Auf dem 53. DGPs-Kongress in Wien hielt im Rahmen des Hybrid-Symposiums "Social Psychology: Cultural Facets (DE,EN); Culture and Psychology" Tobias Schott einen Vortrag zum Thema "Mehr als 30 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung: Stigmatisierende Haltungen seitens des Hilfesystems gegenüber Menschen mit SED-Unrechtserfahrung" (Autoren: Tobias Schott, Marie Blume, Anne Weiß und Georg Schomerus) halten. Anwesend bei der online stattfindenden Präsentation am 19. September um 8 Uhr morgens waren etwa 20 Psycholog:innen und Psychotherapeuth:innen.
19.09.2024
53. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie
Zusammenfassung
Theorie: Menschen mit psychischen Störungen begegnen auf dem Weg zur Behandlung verschiedenen Barrieren. Neben strukturellen Barrieren und Selbststigmatisierung sind die Betroffenen auch stigmatisierenden Haltungen seitens der Behandler:innen konfrontiert, was die Behandlungsaufnahme erschwert. Eine wenig untersuchte Gruppe sind Menschen, die in der DDR Unrecht durch die SED in Form von verschiedenen Repressalien erfahren haben. Einige von ihnen leiden zum Teil heute noch unter psychischen und somatischen Spätfolgen und haben somit einen erhöhten Behandlungsbedarf. Derzeit gibt es keine Untersuchungen darüber, wie die Betroffenen aufgrund ihrer Vergangenheit durch Behandler:innen wahrgenommen werden und ob diese stigmatisierenden Haltungen ausgesetzt sind.
Methode: Insgesamt 749 Behandler:innen aus dem Gesundheitssystem wurde eine von vier Fallvignetten präsentiert. Die Vignetten stellten eine Person mit psychischen Schwierigkeiten dar, die entweder mit einer weitestgehend unauffälligen DDR-Sozialisation oder erlittenes Unrecht in der DDR präsentiert wurde. Neben soziodemografischen Variablen wurden Stereotypen, die emotionale Reaktion (ERMIS) sowie soziales Distanzerleben (SDS) gegenüber der beschriebenen Person erfasst.
Ergebnisse: Multiple hierarchische Regressionen (Abhängige Variable: ERMIS, SDS) zeigen, dass die Ausprägung von Stereotypen in Bezug auf die beschriebene Person der stärkste Prädiktor für stigmatisierende Haltungen seitens der Behandler:innen sind. Soziodemografische Variablen wie z.B. das Geschlecht und die Berufsgruppe tragen zusätzliche Aufklärungskraft bei, während die Art der Vignette nur einen geringfügigen Einfluss hat.
Diskussion: Auch über drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung in Deutschland sehen sich Menschen mit psychischen Problemen und einer Unrechtserfahrung in der DDR stigmatisierenden Haltungen seitens der Behandler:innen ausgesetzt. Diese Haltungen können die Behandlung und Versorgung dieser Personengruppe beeinflussen. Implikationen für die Praxis werden diskutiert.