Thema und Fragestellung
Ende der 1970er Jahre wurden nahezu 7000 junge Frauen in der ehemaligen DDR Opfer einer mit Hepatitis-C-Viren verseuchten Anti-D-Immunprophylaxe. Diese wird regulär rhesus-negativen Frauen nach der ersten Schwangerschaft verabreicht, um eine Unverträglichkeit der Rhesusgruppen zwischen der Mutter und ihren nachgeborenen rhesus-positiven Kindern vorzubeugen. Anfang 1978 bestätigte sich der Verdacht, dass einige der Plasmaspender, deren Blut für die Produktion des Impfstoffes verwendet wurde, an einer Virushepatitis erkrankt waren. Aufgrund von Unkenntnis, Fehleinschätzungen und politischem Druck kamen zunächst die kontaminierten Ampullen und später ebenfalls die mit verunreinigter Waschflüssigkeit behandelten Chargen zum Einsatz, die bis Anfang 1979 verabreicht wurden.
Aufgrund der Häufung der Meldungen über Hepatitiserkrankungen nach Erhalt der Anti-D-Prophylaxe sind ein Teil der betroffenen Frauen in Infektionskliniken zwangseingewiesen und -behandelt worden. Infolge der Erkrankung durch einen zu diesem Zeitpunkt noch unbekannten Erreger, der traumatischen Erfahrungen unter ärztlicher Behandlung sowie der jahrelangen Unkenntnis über das Ausmaß der gesundheitlichen Einbußen leiden bis heute viele dieser Betroffenen an körperlichen sowie psychischen Folgeschäden und kämpfen um gesellschaftliche Anerkennung.
Erst in jüngster Zeit erfahren die Frauen sachgerechte Unterstützung, die über die Konstatierung eines „Impfschadens“ hinausgehend den „man made“-Trauma anerkennt. Um in diesem Zusammenhang die Einzel- und Gruppenberatungen sowie die Behandlung und Begutachtung im Interesse der Betroffenen optimieren zu können, ist das Ziel dieses Projektes, zunächst die psychosomatischen Langzeitfolgen nach Gabe der kontaminierten Anti-D-Prophylaxe herauszuarbeiten, um darauf aufbauend deren Einfluss auf sämtliche Lebensbereiche dieser Frauen zu untersuchen.
Methodisches Vorgehen
- Detailkonzeption und Feldzugang durch bereits etablierte Beratungsgruppe für die Betroffenen sowie über die Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur der neuen Bundesländer
- semistrukturierte Interviewerhebungen mit den betroffenen Frauen (N=15-20)
- Auswertung der spezifischen Formen der Verlaufsdynamik der Leidensprozesse
- Publikationsphase
Veröffentlichungen
- Kuruçelik, A., & Frommer, J. (2024) »Das ist wirklich so, als hätten wir was verbrochen«: Eine qualitative Untersuchung des Unrechtserlebens und der Bewältigungsversuche Hepatitis-C-infizierter Frauen nach Anti-D-Immunprophylaxe. In: B. Strauß, J. Frommer, G. Schomerus, & C. Spitzer (Hrsg). Gesundheitliche Langzeitfolgen von SED-Unrecht. Gießen: Psychozial-Verlag. 115-132. [PDF]