Szenische Informationen bei der Begutachtung gesundheitlicher Folgeschäden nach politischer Haft in der DDR. Eine Fallgeschichte
Kris Per Schindler (Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Magdeburg)
Jörg Frommer (Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Magdeburg)
psychosozial, 2024, 47(2), 49-62
Zusammenfassung
Für ehemals in der DDR politisch Inhaftierte besteht die Möglichkeit, Versorgungsleistungen für gesundheitliche Folgeschäden gemäß §21 StrRehaG geltend zu machen. In der Praxis zeigt sich trotz wissenschaftlich belegter physischer und psychischer Traumafolgestörungen nach politischer Haft eine erhebliche Diskrepanz zwischen Antragstellung und positiver Bescheidung. Die bestehende Literatur fokussiert bereits die besondere Situation der Gutachter:innen bei der sozialrechtlichen Begutachtung. Dabei blieb bisher die Bedeutung von szenischen Informationen, die sich im Kontakt mit den Betroffenen herstellen, allerdings weitestgehend unbeachtet. In diesem Beitrag werden szenische Informationen anhand einer Fallgeschichte skizziert, die aus einem qualitativen Forschungsprojekt über das Erleben der Entschädigungspraxis ehemals politisch Inhaftierter in der DDR stammt. Die Erschließung des Gegenstandes erfolgt durch die systematische Auswertung des Erlebnisprotokolls des Interviewers, des Interviewmaterials sowie durch Einbindung der Resonanzphänomene der Auswertungsgruppe. Der Einbezug der Erfahrungen des Interviewers während des Forschungsprozesses ermöglicht einen erweiterten Zugang zu Hindernissen, die im intersubjektiven Kontakt entstehen können und sich szenisch darstellen. Der Beitrag schließt mit der Diskussion zweier Effekte, die einen zusätzlichen Ansatzpunkt bei der Untersuchung der Diskrepanz von Antragstellung und positiver Bescheidung darstellen können: Verfremdung und Verzögerung bei der Vermittlung des Erlebten.
Schlüsselwörter: politische Traumatisierung, DDR, sozialrechtliche Begutachtung, Szenisches Verstehen
Abstract
Scenic information in the assessment of health damage after political imprisonment in the GDR A case study
Former political prisoners in the GDR may claim benefits due to health damages according to §21 StrRehaG. In practice, despite the scientifically proven physical and psychological trauma sequelae following political imprisonment, there is a considerable discrepancy between application and the positive decision. The existing literature already focuses on the special situation of experts in the social law assessment of the trauma sequelae suffered by those affected by the political repression of the GDR. However, the importance of scenic information which is created in contact with the affected persons has so far been largely ignored. In this paper, scenic information is outlined based on a case study from a qualitative research project that examines the experience of compensation practices of former political prisoners in the GDR. The subject matter is explored through the systematic evaluation of the interviewer’s experience protocol, the interview material and by integrating the impressions of the research group. This inclusion of the interviewer’s experiences during the research process enables an extended access to the potentially emerging obstacles throughout the intersubjective contact. The article concludes with a discussion of two effects that may lead to enlarge the investigation of the discrepancy between theory and practice of the GDR-injustice compensation process: alienation and delay during the mediation of the experience.
Keywords: political traumatization, GDR, social law assessment, scenic understanding
Zitation
Schindler, K.P., & Frommer, J. (2024). Szenische Informationen bei der Begutachtung gesundheitlicher Folgeschäden nach politischer Haft in der DDR. Eine Fallgeschichte. psychosozial, 47(2), 49-62. https://doi.org/10.30820/0171-3434-2024-2-49
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